Der eitle deutsche Wald wird zur Kohlenstoffquelle

Poetisch-metaphorisch-dystopisch hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) jüngst verkündet: „Das grüne Herz unseres Landes gerät aus dem Takt.“ Er meinte damit nicht seine Partei (bei der man angesichts des aktuellen Umfragetiefs mindestens von Herzrhythmusstörungen sprechen kann), sondern den deutschen Wald. Der war seiner vierten Inventur unterzogen worden, Özdemir stellte die Resultate vor – Spoiler: nicht so dolle –, als handle es sich bei diesem Wald um einen leistungsschwachen Subunternehmer des großen Joint Ventures „Klimarettung“, nicht um lebendige Bäume, Moose, Farne, Pilze, Häschen, Rehe und all das.

 

„Der deutsche Wald hilft uns nicht mehr in dem Maße, wie wir es bislang gewohnt waren, bei der Erreichung unserer Klimaziele“, tadelte der Minister die Underperformance des Waldes. Klar, da müssen auch mal klare Worte her, das weiß jede gute Führungsperson. Man kann sagen, der deutsche Wald hat es ein bisschen schleifen lassen in den vergangenen Jahren, dafür bekommt er nun – zu Recht, keine Frage – öffentliches Shaming, das kann ja auch anspornend wirken. Die Inventur besteht in allererster Linie aus Zahlen und fügt so die Bäume, Farne, Moose, Pilze, Häschen, Rehe und all das fachgerecht in das marktwirtschaftliche Raster ein. 15.000 Hektar Zuwachs, 11,5 Hektar Gesamtfläche, darauf 100,4 Milliarden Bäume größer als 20 Zentimeter mit einem „Holzvorrat“ von rund 3,6 Milliarden Kubikmetern. Und da muss man auch mal Worte des Lobes sprechen: „Damit ist Deutschland immer noch das vorratsreichste Land Europas in absoluten Zahlen gesehen“, sagte Thomas Riedel, der Leiter der Bundeswaldinventur vom Thünen-Institut, und man stellt sich unweigerlich eine Lagerhalle mit normgerechten und durchnummerierten Holzlatten in deckenhohen Regalen vor.

 

So, jetzt kommt’s aber: Es gibt Vorratsverlust. Und das bedeutet, dass im deutschen Wald seit der letzten Kohlenstoffinventur 2017 – das ist so eine Art Mini-Zwischeninventur – der Kohlenstoffvorrat um 41,5 Millionen Tonnen abgenommen hat. In einem animierten Video zur Inventur fliegen hoffnungsfroh kleine orangene CO2-Zeichen in grüne Bäume. Aber die Richtung ist falsch, sie müssten rausfliegen, denn der deutsche Wald ist damit von einer Kohlenstoffsenke zu einer Kohlenstoffquelle geworden. Es geht mehr CO2 raus als rein! Dem eitlen deutschen Wald kann man da ruhig mal drohen, dass wir uns sonst eben andere (und billigere!) Subunternehmer im Ausland suchen. Und auf keinen Fall den Führungsstil ändern, daran liegt es sicher nicht.


Warum Wein nicht mehr duftet, dafür aber ballert

Jetzt reicht’s. Dass die globale Erwärmung Wälder niederbrennt, Küsten flutet und Menschen vertreibt, ist unschön. Aber ein Glas – oder auch mal eine ganze Flasche – Wein hüllten die angesichts solcher Hiobsbotschaften aufsteigende Klimaangst bislang verlässlich in wohliges Vergessen. Ein frohlockendes Entkorken, ein wonniges Dekantieren, den Rotwein noch etwas chambrieren, die Tränen im Glas studieren, das Bukett erschnuppern und dann der erste genüssliche Schluck. Mon Dieu! Welch saftiger Körper, welch überraschende aromatische Wendungen, welch ausgefeiltes Frucht-Säure- Spiel und welch grandioser Abgang mit filigranem Nachhall! Bislang ließ sich noch der schweißtreibendste Hitzerekord zumindest vorübergehend zwischen rassiger Mineralität und subtilen Strukturen ertränken. Aber die Stunden dieser Wonnemomente sind gezählt!

 

Denn jetzt schmeckt selbst der Wein nicht mehr. Schuld daran ist, klar, die Klimaerwärmung. „Der Klimawandel wirkt sich auf den Ertrag, die Zusammensetzung und die Qualität der Trauben aus“, schreibt ein Forschungsteam im Fachmagazin Nature Reviews Earth & Environment. Die Forschenden kommen aus Bordeaux und dem Burgund, den zwei wohl berühmtesten Weinregionen der Welt – noch. Denn: „Infolgedessen verändert sich die Geografie der Weinerzeugung.“ Die Folge: „Etwa 90 Prozent der traditionellen Weinanbaugebiete in den Küsten- und Tieflandregionen Spaniens, Italiens, Griechenlands und Südkaliforniens könnten bis zum Ende des Jahrhunderts vom Verschwinden bedroht sein, weil der Klimawandel zu übermäßiger Trockenheit und häufigeren Hitzewellen führt.“ Quelle catastrophe!

 

Und was der geneigte Connaisseur schon jetzt erschmecken mag: Die steigenden Temperaturen verderben den Geschmack der edlen Tropfen. Statt des Aromas frischer Früchte tragen sie nun Noten von gekochtem und überreifem Obst. Sie haben weniger Säure und daraus resultierend eine geringere mikrobiologische Stabilität, die Folge: Fehlgeschmack! Der junge Rotwein ist blass, der Sauvignon Blanc duftet nicht mehr und einige australische Weine tragen dank der immer häufigeren und größeren Waldbrände bereits einen verbrannten und an Asche erinnernden Rauch-Beigeschmack.

Ein gutes hat die Klimaveränderung allerdings: Die Hitze steigert den Zuckergehalt der Weine, macht sie „kopfiger“ und „heißer“, das ist Weinkritiker-Fachvokabular für mehr Alkoholgehalt. Das heißt ganz einfach ausgedrückt: Die Weine ballern mehr. Das können wir ja wiederum ganz gut gebrauchen.


Klimaangst: So verheizen wir die Forschenden

Es ist ja oft die Rede davon, dass wir Ihnen, unseren geneigten Leser:innen, nicht so viel Negativität zumuten können. Denn das macht Sie nachrichtenmüde. „Jeder Zehnte versucht oftmals aktiv, Nachrichten zu vermeiden“, schreibt das Leibniz-Institut für Medienforschung, das dazu eine Studie gemacht hat. Wenn ich hier also zu viel von der Klimakrise schreibe, dann schauen Sie weg. Sie können – statt hier weiterzulesen – zur Kultur weiterblättern, das Dschungelcamp einschalten oder sich online ein neues T-Shirt kaufen. Und dann ist die Klimakrise einfach nicht da, la-la-la.

 

Es gibt aber Menschen, die nicht einfach so wegsehen können, weil es ihr Job ist, hinzusehen. Und denen geht es zunehmend schlechter. Denn es ist ein bisschen anstrengend, die Weltgemeinschaft jahrzehntelang vor einer vermeidbaren Katastrophe zu warnen, wenn die sich dann bloß „nachrichtenmüde“ abwendet und sagt: „och nö, das ist mir jetzt echt zu negativ und weltuntergangsmäßig“, und dann eben zum Kulturteil weiterblättert / das Dschungelcamp einschaltet / ein T-Shirt kauft.

 

Mit derlei Vermeidungsstrategien verheizen wir nicht nur die Erde, sondern auch die Menschen, die vor ihrer Verfeuerung warnen. Damit meine ich nicht nur die Klimaforschenden, die die gefürchteten schlechten Nachrichten mit ihren Feldforschungen und Berechnungen ja erst herausfinden, sondern auch diejenigen, die ihre Nachrichten dann weiterverbreiten, also Aktivist:innen, Autor:innen und Journalist:innen.

 

Ich möchte hier aber nicht darauf hinaus, wie ich mich verheizt fühle, sondern darauf, wie es den zur Neutralität verdammten Forschenden geht. Klimaangst ist unter Klimaforschenden so weit verbreitet, dass sich für sie Organisationen wie die „Climate Psychiatry Alliance“ oder das „Good Grief Network“ gegründet haben, die ihnen dabei helfen wollen, mit ihrer Angst und Frustration besser umzugehen. Wie weit die unter ihnen verbreitet ist, zeigte eine Umfrage unter den Hauptautor:innen der Weltklimaberichte. Nur sechs Prozent der befragten Forschenden glauben, dass das 1,5-Grad-Ziel noch erreicht werden kann.

 

Klimaangst kann Bluthochdruck, Depressionen, Suchtverhalten oder andere stressbedingte Krankheiten auslösen. „Sie [die Klimaforschenden] sind eine gefährdete Bevölkerungsgruppe, eine Gruppe, die der Realität des Klimawandels auf sehr ernste Weise ausgesetzt ist“, sagt Robin Cooper von der „Climate Psychiatry Alliance“. Wissenschaftler:innen sehen auf ihren Forschungsreisen mit eigenen Augen, wie die Gletscher schmelzen, der tropische Regenwald verbrennt oder die Korallen sterben. Das ist nicht ganz einfach zu verarbeiten. Versicherungen für Forschungsreisen schließen aber keine Psychotherapie ein, weil Emotionen in der Forschung ja keine Rolle spielen dürfen.

 

Der Australier Joe Duggan gab ihnen mit seinem Projekt „Is This How You Feel?“ dennoch einen Raum, indem er Klimaforschende aus der ganzen Welt bat, ihre Emotionen in handschriftlichen Briefen festzuhalten. Rohan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, schrieb: „Unsere Forderungen führen im Grunde genommen bestenfalls zu marginalen Veränderungen ... Mein Gefühl dazu? Nun, tiefe Frustration.“ Sein Kollege Stefan Rahmstorf fühlt sich „traurig“ und ist von einem Albtraum geplagt: Er entdeckt ein abgelegenes brennendes Bauernhaus, daraus rufen Kinder um Hilfe, er ruft die Feuerwehr. „Aber die kommt nicht, weil ein Verrückter ihnen immer wieder sagt, dass es ein falscher Alarm ist.“

 

Aber ich sage Ihnen, bald werden wir Ruhe haben. Es gibt dann einfach keine Klimaberichte mehr, weil alle Klimaforschenden krankgeschrieben sind. Und wir können wieder sorgenfrei online shoppen und Trash-TV schauen.


Möge die Macht der Klimakrise alle Zeit mit dir sein!

Mehr Zeit, wünschen wir uns das nicht alle? Ich kann Ihnen verraten, wir wurden erhört – nur aus einer überraschenden Ecke. Denn es ist ausgerechnet die Klimakrise, die uns mehr Zeit schenken wird. Und da ist dann auch gleich der Haken: Will man in einer Krise mehr Zeit haben oder will man nicht viel eher, dass sie einfach schnell vorbei ist?

 

Tja, wir werden es uns nicht aussuchen können, denn diese Krise schreibt ihre eigene Zeit, und die wird eben länger sein, jeden Tag. Mit unserem massenhaften Ausstoß von Kohlenstoffdioxid und Methan verursachen wir nämlich nicht nur den Treibhauseffekt, der wiederum höhere Temperaturen zur Folge hat. Wir verformen außerdem den Planeten. Wie das?

 

Die Erwärmung bringt das Eis in den Polargebieten zum Schmelzen, das sich in Wasser verflüssigt auf die Weltmeere verteilt. Und dieses Wasser fließt weg von den Polen in Richtung Äquator. Die Massenverteilung der Erde verändert sich also, unser Planet wird gewissermaßen dicker. Das hat Auswirkungen auf die Erdrotation, sie verlangsamt sich. Und das heißt: Die Tage werden länger.

 

Okay, der Effekt ist sehr klein: In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind die Tage klimabedingt um durchschnittlich 1,33 Millisekunden länger geworden. Das errechnete ein Forscherteam rund um den Geoforscher Mostafa Kiani Shahvandi von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich.

 

Die Forscher wagen auch einen Blick in die Zukunft – die natürlich maßgeblich davon abhängt, wie viel Treibhausgase wir in nächster Zeit noch so in die Atmosphäre blasen. Im Falle des „Weiter-so-Szenarios“ des Weltklimarates würden die Tage ab dem Jahr 2100 um 2,62 Millisekunden pro Jahrhundert länger werden.

 

Das klingt jetzt erst mal nicht so krass, dieser Effekt wäre aber größer als der des Mondes. Der wirkt mit seiner Schwerkraft ziemlich stark auf die Erde ein und verursacht damit Ebbe und Flut. Der Mond verlangsamt aber auch die Erdrotation, und zwar um 2,4 Millisekunden pro Jahrhundert.

 

Das Ergebnis von Mostafa Kiani Shahvandi und seinen Kollegen reiht sich ein in eine Reihe anderer besorgniserregender Funde: Forschende fanden heraus, dass wir mit der Umverteilung des Wassers auch die Rotationsachse der Erde verschieben und mit unseren Emissionen schrumpfen wir die Erdatmosphäre. Das sind Dinge, die sich sonst über einen Zeitraum von Milliarden Jahren verändern. Wir machen das in hundert Jahren. Nun nehmen wir es also mit der Macht des Mondes auf – Star Wars mal anders.


Gewusst, wo: À la Gießkanne klappt Artenschutz nicht

Erinnern Sie sich an die US-amerikanische Fernsehserie Die Dinos? Darin polterte der wuchtige Dino-Papa Sinclair stets mit den Worten „Bin da, wer noch?“ herein, während das Dino-Baby „Nicht die Mama!“ brüllte und mit Kochtöpfen um sich schlug. Und wissen Sie auch, wie die Serie endete? Mit einer Verkettung ökologischer Katastrophen und dem Beginn einer Eiszeit, in der sich die Dino-Familie frierend zusammendrängt, während Dino-Papa Sinclair sagt: „Wir werden es bestimmt schaffen. Wär’ doch gelacht. Und außerdem: Wir Dinos leben schon seit 150 Millionen Jahren auf der Erde. Da werden wir doch nicht so mir nichts, dir nichts zu Flugsauriern.“

 

Ich denke, es ist kein allzu großer Spoiler, wenn ich Ihnen verrate, dass sie es nicht schaffen. Und jetzt kann man diskutieren, ob es makaber ist, aus dem fünften Massensterben auf der Erde eine Schlusspointe für eine Kinderserie zu machen. Ich möchte aber auf etwas anderes hinaus: Diese Serie ließe sich in Kürze neu auflegen, und zwar mit den Tierarten, die heute auf der Erde leben. Die werden nämlich gerade von dem sechsten Massensterben eine nach der anderen ausgelöscht. Wie wäre es etwa mit dem Marianen-Flughund als Papa, einem gelben Guambrillenvogel als bestem Freund, einem Gelbstirn-Waldsänger als Arbeitskollegen und einem langschnabeligen Schuppenkehlmoho als Widersacher? Das ist keine zufällige Auswahl. Sondern Tierarten, die allein letztes Jahr für ausgestorben erklärt wurden.

 

Bisschen traurig für die Kleinen? Nun, glücklicherweise ließe sich das verhindern, wenn auch nicht für die genannten Arten, die ja ausgestorben sind. Die können höchstens noch auf den Lazarus-Effekt hoffen, so nennt man das, wenn verschwunden geglaubte Tierarten wiederentdeckt werden – eher unwahrscheinlich. Ein Großteil der noch existierenden bedrohten Arten ließe sich laut einer gerade im Fachmagazin Frontiers in Science veröffentlichten Studie aber relativ leicht retten. Denn sie sind selten und kommen nur in kleinen Gebieten vor. Für ihren Erhalt müssten deswegen auch nur kleine Gebiete geschützt werden: 1,2 Prozent der Landoberfläche der Erde, so die Studie. Das entspricht 1,64 Millionen Quadratkilometern, was ziemlich genau der Fläche des Iran entspricht. Um das sechste weltweite Massensterben zu verhindern, müssen wir also nicht die ganze Welt schützen, sondern „nur“ ein mittelgroßes Land – aufgeteilt auf knapp 17.000 Orte auf der Welt.

 

Das klingt doch machbar, oder? Um das mal ein bisschen näher an Sie heranzurücken: Die durchschnittliche Körperoberfläche des Menschen sind 1,73 Quadratmeter. 1,2 Prozent davon sind gut zwei Quadratzentimeter, das ist also ungefähr die Fläche ihres Daumen- oder Fingernagels (je nachdem, wie groß ihre Finger sind). Um sich selbst vorm Aussterben zu schützen, müssten sie also nur ihren Daumen- oder Fingernagel schützen.

Wäre allerdings schon gut, wenn Sie wüssten, welchen denn nun. Einfach irgendeinen zu schützen bringt’s auch nicht. Klingt selbstverständlich? Nun, die Weltgemeinschaft macht gerade genau das. Vor zwei Jahren vereinbarte sie, 30 Prozent der Erdoberfläche unter Schutz stellen zu wollen, was ja erst mal löblich ist. Sie schützt bloß die falschen Orte, denn nur sieben Prozent der in den letzten Jahren neu geschützten Flächen beherbergen stark bedrohte Arten. „Es ist fast so, als ob die Länder einen umgekehrten Selektionsalgorithmus anwenden und die nicht seltenen Gebiete auswählen, um sie zu den globalen Schutzgebieten hinzuzufügen“, sagt Eric Dinerstein, US-amerikanischer Umweltschützer und Leitautor der erwähnten Studie.

 

Also: ein bisschen besser konzentrieren beim Aufstellen der Schutzzäune. Um es mit Dino-Papa Sinclair zu halten: Wir werden es bestimmt schaffen. Wär’ doch gelacht.


Woher kommt das Glyphosat in den Gewässern?

Johann Wolfgang von Goethe schrieb dereinst: „Des Menschen Seele / Gleicht dem Wasser: / Vom Himmel kommt es, / Zum Himmel steigt es“. Das war sicher romantisch gemeint – rauschende Ströme, die Reinheit, der Schaum und so weiter –, aber diese Worte sind von schneidend unangenehmer und recht unromantischer Aktualität. Denn die Seelen der Menschen gleichen dem Wasser darin, dass sie vergiftet sind.

 

Die Rede ist von Glyphosat, dem meistgenutzten Breitbandherbizid, über das es schon seit Jahren erbitterten Streit gibt. Denn nicht nur tötet es verlässlich alle Pflanzen ab, es steht auch im Verdacht, Krebs zu erregen. Die Europäische Kommission ließ es trotzdem für weitere zehn Jahre in der Landwirtschaft zu. Also sollte es nicht verwunderlich sein, dass sich Glyphosat auch in Gewässern findet, die sind für das Unkrautvernichtungsmittel ja nur einen Regenguss entfernt. Nur, hier wird es seltsam: Aus der Landwirtschaft kann es nicht kommen.

 

Diese Erkenntnis haben wir der Chemikerin Caroline Huhn von der Universität Tübingen zu verdanken. Sie sah sich die Glyphosat-Belastung an rund 70 Messstellen in Deutschland, Luxemburg, Frankreich und Schweden einmal genauer an und stellte fest, dass sie konstant war. Käme es von den Feldern, müsste die Konzentration aber mit den Jahreszeiten schwanken. Und nun ist die große Frage: Woher kommt das Glyphosat in den Gewässern dann? Die Deutsche Bahn versprühte es entlang ihrer Bahngleise, hörte damit aber vergangenes Jahr auf. Die Konzentration im Wasser blieb gleich.

Auf öffentlichen Flächen wie Spielplätzen oder Parks wurde Glyphosat großflächig versprüht, seit 2021 ist das aber verboten. Die Konzentration im Wasser blieb gleich.

 

Ja, fällt es denn vom Himmel, um bei Johann Wolfgang von Goethes Worten zu bleiben? Nein, es kommt wohl eher aus der Hölle, also im übertragenen Sinne: aus Kläranlagen. Diese Erkenntnis wiederum ist Silvia Venditti, Abwasserforscherin an der Universität Luxemburg, zu verdanken. Denn sie stellte fest: Aus Kläranlagen fließt viel mehr Glyphosat als in sie hinein.

 

Es muss also irgendwas in ihnen passieren. Manche haben den Klärschlamm in Verdacht, andere glauben, das Glyphosat entsteht dort aus anderen Chemikalien, zum Beispiel aus solchen, die in manchen Waschmitteln vorkommen. Da fragt man sich jetzt zum einen, warum das offenbar niemand kontrolliert, und zum anderen: was da wohl noch so alles entsteht. Neue Lebensformen, Massenvernichtungsmittel, der Schlüssel zur ewigen Jugend? Hat mal jemand nachgesehen?


Arme Arielle: Wie wir die Ozeane weiter ausbeuten

Haben Sie noch das Titellied von Arielle, die Meerjungfrau im Ohr? Zu einer Calypso-Reggae-Melodie singt eine Krabbe: „Unten im Meer, unten im Meer / Bei jedem Wetter ist es viel netter und bietet mehr / Als dieses Land, das oben sitzt, wo jeder schuftet und nur schwitzt / Wir schwimmen besser hier im Gewässer.“ Das Originallied wurde Ende der 1980er verfasst. Es würde heute so nicht mehr geschrieben werden.

 

Die Ozeane sind so heiß wie nie – mit 21,1 Grad wurde diesen Februar die höchste globale Meerestemperatur aller Zeiten registriert. Erst vor wenigen Tagen verkündete die Wetter-und-Ozeanografie-Behörde der USA, das vierte globale Massensterben der Korallen habe begonnen. Rund ein Drittel der kommerziell genutzten Fischarten ist überfischt, 57 Prozent stehen an der Grenze dazu. Gleichzeitig wollen wir immer mehr – Norwegen hat Anfang dieses Jahres den Startschuss für den Tiefseebergbau gegeben. Ich könnte diese Liste ewig fortführen.

 

Aber: „Der Ozean ist Teil dessen, was wir sind, und er ist unsere gemeinsame Verantwortung.“ Diese balsamierenden Worte sagte der EU-Umweltbeauftragte Virginijus Sinkevičius auf der diesjährigen „Our Ocean“-Konferenz letzte Woche in Athen. Dort ging es vor allem darum, Geld für den Meeresschutz zusammenzukriegen. Die teilnehmenden 120 Länder sagten aber nur 9,4 Milliarden Euro zu, letztes Jahr war es noch fast doppelt so viel.

 

Kann es etwa sein, dass dem Großteil der Weltgemeinschaft der Meeresschutz doch nicht so wichtig ist? Die Antwort könnte schon im Namen der Konferenz liegen: „Our Ocean – An Ocean of Potential“. Also erst mal: Wer hat gesagt, dass der Ozean uns gehört? Und dann klingt das doch sehr danach, als wolle man den Ozean ordentlich wirtschaftlich nutzen, anstatt ihn endlich mal in Ruhe zu lassen.

 

Nein, werden Sie mir da widersprechen, wir haben doch seit letztem Jahr das UN-Hochseeschutzabkommen. Es deckt die Gebiete ab, die außerhalb der nationalen Hoheitsgewalt liegen – rund 40 Prozent der Erdoberfläche –, und ermöglicht dort Schutzgebiete. Es haben allerdings bislang nur vier Länder das Abkommen ratifiziert: Belize, Chile, Palau und die Seychellen. Und es tritt erst in Kraft, wenn es mindestens 60 Staaten ratifiziert haben.

 

Also, Arielle, kannst zu uns an Land kommen. Es schwimmt sich nicht mehr besser im Gewässer unten im Meer.


Plantage oder Fabrik: Grünheides Baumhausfrage

Grünheide ist ein kleines Dorf in Brandenburg. Grünheide hat Gewerbeflächen. Anfang des Jahrtausends hätte dort mal fast der Autobauer BMW ein Werk errichtet. Hat er dann aber doch nicht. Auf den Gewerbeflächen wurden dann Kiefern in Monokultur angebaut. Kiefern wachsen schnell und sind relativ anspruchslos, aus ihnen kann man gut Karton herstellen – für Papier sind ihre Fasern zu lang –, sie sind deswegen nach Fichten die zweithäufigste Baumart in Deutschland.

 

Das hätte bis vor einigen Jahren wohl niemand voraussehen können, aber dieser Kiefernforst wird gerade zum nächsten Austragungsort des Stellvertreterkriegs zwischen Establishment und Anti-Establishment.

 

Das liegt daran, dass dann der Autobauer Tesla nach Grünheide kam, um dort eine seiner Gigafactories zu bauen. Also genau da, wo jetzt die Kiefern waren. Die mussten dann weg. Tesla musste allerdings versprechen, als Ausgleich woanders Bäume zu pflanzen, und zwar hochwertigeren Mischwald. Das fanden einige trotzdem schon damals nicht gut – die Grüne Liga klagte und bekam Feuerschutz ausgerechnet von der AfD. Ramona Pop, Berlins damalige grüne Wirtschaftssenatorin, kommentierte: „Wie abwegig, eine Kiefernplantage zu einem Wald zu erklären.“ Aber Grünheide wurde noch nicht zur neuen Frontlinie. Die oszillierte damals noch zwischen dem Hambacher Forst und Lützerath, zwei Orten, die dem Braunkohletagebau weichen sollten. In Grünheide hängten sich 2020 nur zwei Aktivistinnen für einige Stunden in die Bäume.

 

Jetzt sind es um die 80. Denn Tesla will seine Gigafactory erweitern und einen Güterbahnhof bauen. Und jetzt sind die Kämpfe im Hambacher Forst und in Lützerath ausgefochten. Weil Kiefern winzige Äste haben, hängen die Baumhäuser der Aktivist:innen dazwischen wie notdürftig gebaute Ufos. Auf den Bannern

steht „Saubere Autos sind eine dreckige Lüge“ und „Water is a human right“. Die Polizei will den Protest verbieten, dann erlaubt sie ihn unter der Auflage, die Baumhäuser abzubauen. Die Baumhaus-Aktivist:innen reichen einen Eilantrag ein, nun dürfen sie vorerst bleiben.

 

Die Polizei spricht von einer „Gefahrenprognose“ und vom gebotenen „Rückbau“ der Baumhäuser, als handle es sich um Atomkraftwerke und nicht um Hütten in Baumkronen. Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) befürchtet, „bisher uninteressierte, gewaltbereite“ Menschen könnten sich angezogen fühlen, die sich ein „europäisches Zentrum gegen den Ökofaschismus“ wünschten. Die antikapitalistische „Vulkangruppe“ setzt einen Strommast in Brand und legt die Autoproduktion für mehrere Tage lahm.

 

Die Gemeinde Grünheide weht dazwischen mit der weißen Fahne und schlägt einen Kompromiss vor – nur etwa die Hälfte des Waldes zu roden –, aber der hört jetzt schon keiner mehr zu. Denn es geht hier natürlich niemandem um die Kiefern.

 

Es steht die Frage im Forst: Ist das hier der richtige Schauplatz? Nun, jeder gefällte Baum ist erst mal schlecht fürs Klima. Und bis ein neuer Ausgleichsmischwald gewachsen ist, dauert es mal gut und gerne 50 bis 100 Jahre. E-Autos sind zwar besser als Verbrenner, aber Tesla-Boss Elon Musk ist zugleich völlig irre und der Inbegriff einer kapitalistischen Hassfigur.

 

Natürlich gibt es gute Gründe, dagegen zu sein, dass sich das Establishment in Grünheide seinen Palast im grünen Tarnumhang ausbaut und sich einfach aus der Krise herauskonsumieren will, anstatt vielleicht mal gar nichts zu bauen. Und dagegen darf man protestieren und das darf auch für viele unangenehm sein. Sonst wäre das Baumhauscamp ja einfach nur ein neuer Hochseilgarten. Die machen zwar Spaß, aber auch nichts wirklich besser.


Klimaschutz kann Ihnen das Essen vom Teller reißen

Angesichts der bereits fühlbaren Effekte des Klimawandels und der noch schlimmeren für die Zukunft prognostizierten ist es eigentlich ein „No-Brainer“, wie man im Englischen so schön sagt: Klimaschutz muss oberste Priorität haben. Allerdings mit einer Einschränkung: Es wäre gut, wenn wir das auch überleben würden – also nicht die drohende Klimakatastrophe, sondern den Klimaschutz, der sie verhindern soll. Wie eine neue im Fachmagazin Science veröffentliche Studie zeigt, könnte das aber eng werden.

 

Denn Regierungen weltweit setzen in ihren Klimaplänen zu viel darauf, der Atmosphäre CO2 zu entziehen – und zu wenig darauf, es gar nicht erst auszustoßen. Laut Analyse der Forschenden planen sie 2030 doppelt so viel CO2 auszustoßen, wie mit dem 1,5-Grad-Ziel kompatibel wäre. Das versuchen sie wettzumachen, indem sie das Klimagas wieder aus der Atmosphäre ziehen.

 

Dabei setzen sie vor allem auf Wiederaufforstung und Bioenergie, verbunden mit CO2-Abscheidung und -Speicherung. Leider gibt es ein großes Problem: Die dafür benötigten Energiepflanzen wie Zuckerrohr und Mais, aber auch die vielen schönen Bäume müssen irgendwo wachsen. Und dafür brauchen sie Platz. Zu viel Platz.

 

Setzten die Regierungen ihre Pläne wie derzeit vorgesehen um, würden dafür bis 2060 rund zwölf Millionen Quadratkilometer benötigt, das ist fast die gesamte weltweit verfügbare Ackerfläche. Dann wäre zwar weniger CO2 in der Atmosphäre, es hätte halt aber leider auch niemand mehr etwas zu essen. Die Schuld an dieser Fehlplanung sehen die Leitautorin Alexandra Deprez vom französischen Institut für nachhaltige Entwicklung und internationale Beziehungen und ihre Mitforschenden beim Weltklimarat. Der ermittelte zwar Grenzen für das technische Potenzial von Biokraftstoffen und Wiederaufforstung, ließ dabei aber das Risiko für Landwirtschaft, Lebensgrundlagen und die Artenvielfalt außer Acht.

 

„Das liegt daran, dass es nicht genug Land auf unserem Planeten gibt“, fasst Ko-Autor Paul Leadley von der Universität Paris-Saclay das Dilemma zusammen. Man kann also sagen, der Weltklimarat hat bei seinen Berechnungen leider vergessen, dass die Welt kein Computerspiel ist, bei dem man sich beliebig Flächen dazubauen kann. Sie ist ein realer Ort mit sehr realen Grenzen. Und da müssen wir im Zweifel entscheiden zwischen Energiemais, Bäumen oder Kartoffeln.

 

Aber kein Grund, in Fatalismus zu verfallen, denn zum Glück gibt es für all das

eine einfache Lösung: Wir müssen einfach so schnell wie möglich aus den fossilen Brennstoffen aussteigen. Warum machen wir das noch mal nicht?


Klimaschutz ist Antifaschismus – und umgekehr

Das ganze Land ist geschockt, weil nun „rauskam“, dass die AfD so wirklich rassistisch ist. Das ist natürlich eigentlich gar nicht überraschend, die Nazipartei hatte das schon mal durchblicken lassen. Das hat für sie auch ökologische Gründe: Einwanderung ist aus Sicht der AfD nämlich unökologisch, damit schließt sie sich den Nationalsozialisten an. Wir erinnern uns an die Formel „Blut und Boden“, womit die Einheit von Bauern und Land gemeint war, was als Ideal für die gesamte Gesellschaft gelten sollte.

 

Es gibt einen Nazislogan, der heute gerne mal auf T-Shirts gedruckt wird: „Bäume haben Wurzeln, Menschen auch“. Alle sollen also da wohnen bleiben, wo sie umweltmäßig hingehören – warum der nächstbeste Vergleich für uns Menschen ausgerechnet Bäume sein sollen und nicht etwa irgendeine schicke Tierart, bleibt unklar.

 

Bäume also, die will die AfD schützen, die metaphorischen wie die tatsächlichen Gewächse. Und deswegen sind die Nazis auch gegen Klimaschutz und Energiewende, denn für Windräder werde der deutsche Wald zerstört. Diese Behauptung ist schlicht falsch, laut einer im Fachmagazin Nature veröffentlichten Studie wuchs die Waldfläche in Deutschland zuletzt sogar: Zwischen 2016 und 2018 breitete sie sich um sieben Prozent mehr aus als im Vergleichszeitraum 2004 bis 2015.

 

Windräder sind den Rechtsextremen dennoch irgendwie unheimlich, der AfD-Abgeordnete Stephan Brandner (der übrigens 2019 erstmals in der Geschichte des Bundestages wegen antisemitischer Äußerungen als Vorsitzender eines Bundestagsausschusses abgesetzt worden war) teilte anlässlich der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 seine Sorge, dass solche extremen Wetterereignisse dadurch ausgelöst werden, dass Windräder den Wind aus der Luft nehmen.

 

Die AfD hat es sich zur Aufgabe gemacht, gegen Windmühlen zu kämpfen. Gegen Klimaschutz sowieso. Dem Weltklimarat will sie nicht trauen: Der verschweige uns zum Beispiel „die positive Wirkung des CO2 auf das Pflanzenwachstum und damit auf die Welternährung. Je mehr es davon in der Atmosphäre gibt, umso kräftiger fällt das Pflanzenwachstum aus“, schreibt die Partei in ihrem Grundsatzprogramm.

 

Ich schreibe das hier explizit nicht, um mich zu belustigen, sondern um deutlich zu machen: Klimaschutz bedeutet Antifaschismus – und umgekehrt. Ließen wir die Nazis machen, dann könnten wir bald einer „Remigration reloaded“ zusehen, wenn die Klimakatastrophe Millionen Menschen zur Flucht zwingen würde. Und das können die Faschos ja nicht wollen – wegen der schönen Bäume und der Wurzeln und so.


Ein arabischer Scheich kauft Wälder in Afrika

Klar, es wirkt alles ein wenig absurd. Dass die 28. Klimakonferenz ausgerechnet von den Vereinigten Arabischen Emiraten ausgerichtet wird, legt einen recht profunden Interessenkonflikt nahe. Denn sie sind ein Ölstaat – und als solcher gewissermaßen der klimapolitische Antichrist. Aber wer sagt, dass man keinen Pakt mit dem Teufel schließen kann?

 

Okay, dass im Vorfeld der COP28 rauskam, dass Sultan Ahmed al-Dschaber – nicht nur der diesjährige COP-Präsident, sondern auch Chef des staatlichen Öl- und Gaskonzerns – die Konferenz für neue Öldeals nutzen wollte, ist nicht ganz ideal. Der Sultan dementierte das übrigens, er fand allerdings nicht den Vorwurf absurd, dass er in diesen Zeiten neue Öldeals abschließen wollte, sondern dass er dafür die Klimakonferenz brauche. Aber vielleicht sehen wir das alles falsch?

 

Immerhin wollen die Vereinigten Arabischen Emirate bis 2050 klimaneutral werden, zeitgleich mit der Europäischen Union. Wenn das kein Klimaschutz-Engagement ist! Oder zumindest das Versprechen dazu. Aber der Teufel – um bei unserem diabolischen Freund zu bleiben – steckt wie immer im Detail. Denn natürlich müssen die Arabischen Emirate gar nicht selbst klimaneutral werden,um klimaneutral zu werden. Wie das geht?

 

Da kommt Blue Carbon ins Spiel, ein gerade einmal ein Jahr junges Unternehmen, das Wälder schützen oder neue Bäume pflanzen will, um damit CO2 zu speichern. Zertifikate darüber will es an Unternehmen und Länder verkaufen, die eben jenes CO2 in die Atmosphäre blasen und damit sehr ungern aufhören würden. Und da stecken gleich mehrere Teufel in mehreren Details: Erstens sind solche Waldschutzprojekte weitgehend nutzlos, wie Recherchen im Januar offenlegten. Zweitens gehört Blue Carbon Scheich Ahmed Dalmook Al Maktoum, Mitglied der königlichen Familie der Arabischen Emirate, womit wir schon wieder einen Interessenkonflikt hätten.

 

Und drittens sollen diese Waldgebiete Menschen in Afrika weggenommen werden, die bislang in ihnen leben. Wir reden hier nicht von ein paar kleinen Wäldchen: Blue Carbon hat Pachtverträge für 25 Millionen Hektar afrikanischen Wald ausgehandelt. Das entspricht rund zehn Prozent der Flächen von Sambia, Tansania und Liberia und zwanzig Prozent von Simbabwe – eine Gesamtfläche so groß wie das Vereinigte Königreich. „Carbon Colonialism“ ist der neue Begriff dafür, den können Sie sich merken, denn den werden Sie in Zukunft häufiger hören. Weitere Deals will Blue Carbon auf der COP28 eintüten. Dafür ist die Klimakonferenz dann schon ganz praktisch.


Die Satelliten von Elon Musk killen bald schon Leute

Mit folgenden Worten beginnt ein neuer Bericht namens Interconnected Disaster Risks der Universität der Vereinten Nationen: „Wir Menschen denken oft, dass Prozes­se einfach und vorhersehbar sind. Wenn wir Wasser brauchen, drehen wir den Hahn auf und es kommt Wasser heraus.“ Bei der dazugehörigen Presse­konferenz neulich wirft Jack O’Connor, Meeresökologe und einer der Leitau­tor*innen der Studie, mit Metaphern um sich, um auf möglichst vielfältige Art zu verstehen zu geben: Wir sind so gut wie am Arsch. Wir rasten mit einem Auto auf eine Klippe zu, sagt er, und wir zögen immer mehr Klötze aus dem Jenga­-Turm.

 

Wenn Ihnen „Jenga“ nichts sagt, ha­ben Sie die 80er und 90er verschlafen (oder Sie waren da noch nicht geboren). Es handelt sich um ein Geschicklich­keitsspiel, bei dem man Holzklötze aus einem Stapel zieht, bis dieser umfällt. Unklar ließ O’Connor, ob wir das gleich­zeitig tun, also ob wir im Auto sitzend und Jenga spielend auf die Klippe zu­rasen oder ob wir erst über die Klippe rasen und dann an ihrem Fuße im Auto­wrack Jenga spielen – oder umgekehrt.

 

Der erste Satz ist übrigens sowohl me­taphorisch als auch wörtlich gemeint: „Wir öffnen den Wasserhahn und plötz­lich kommt nichts mehr heraus. Dies wird als Kipppunkt bezeichnet, und Kipppunkte können irreversible, katast­rophale Auswirkungen für die Men­schen und den Planeten haben“, heißt es weiter im Bericht. Einer dieser Kipp­punkte ist eben die Erschöpfung des Grundwassers, mehr als die Hälfte aller unterirdischen Wasserreservoirs würden schneller erschöpft, als sie auf natürliche Weise wieder aufgefüllt werden könnten.

 

Weitere Kipppunkte, vor denen die Forschenden warnen, sind das eskalie­rende Artensterben (eine Million Tier-­ und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht), die Gletscherschmelze (die Hälfte der Gletscher weltweit werden bis 2100 vollständig geschmolzen sein), unerträgliche Hitze (rund 500.000 Men­schen sterben deswegen jedes Jahr), der Verlust von Versicherbarkeit (seit den 70ern haben sich die Kosten von Katastrophen versiebenfacht) und Welt­raumschrott.

 

Bleiben wir mal bei diesem letzten Punkt. Vielleicht haben Sie die leuchten­den Ketten am Himmel gesehen, die Elon Musk mit seinem Unternehmen Starlink in die Erdumlaufbahn schießt. Laut der Federal Aviation Administrati­on sind es schon mehr als 5.000 Satel­liten. Sie warnt, dass deren Trümmer ab 2035 alle zwei Jahre einen Menschen töten oder verletzen könnten. Noch viel größer ist das Risiko einer Art Massen­karambolage im Weltraum: 34.260 Ob­jekte umkreisen die Erde, nur rund ein Viertel davon sind funktionstüchtige Sa­telliten, der Rest ist Müll. Dazu kom­men rund 130 Millionen Trümmerteile, die zwischen einem Millimeter und einem Zentimeter groß sind. Weil sie sich mit einer Geschwindigkeit von rund 25.000 Kilometern pro Stunde bewegen, können sie alle großen Schaden anrichten.

 

Bis zum Jahr 2030 könnten mehr als 100.000 neue Raumfahrzeuge in die Umlaufbahn gebracht werden, prognostizieren die Forschenden. „Ir­gendwann wird dies einen Punkt errei­chen, an dem ein einziger Zusammen­stoß eine Kettenreaktion auslöst, die dazu führt, dass unsere Umlaufbahn so dicht mit Schrapnellen bedeckt wird, dass sie unbrauchbar wird. Die bestehende Weltrauminfrastruktur würde schließlich zerstört werden, und künftige Aktivitäten im Weltraum könnten unmöglich werden.“

 

Ferdinand von Schirach hat mal in ei­nem Interview gesagt, er würde sich das Foto Pale Blue Dot anschauen, das die Erde winzig klein aus einer Entfer­nung von etwa sechs Milliarden Kilome­tern zeigt, um weltliche Probleme in eine andere Perspektive zu rücken. Gut, dass darauf der ganze Müll nicht zu erkennen ist.


Hulapalu! Heißzeit in Bayern: das Klima und die Wahl

In Bayern lebe „es sich einfach bes­ser“, so überschreibt die CSU ihr Regierungsprogramm – die Land­tagswahl steht vor der Tür. Bayern sei „Glücksland, Zukunfts­ und Sehn­ suchtsort“. Hach, hach, im Postkarten­idyll Deutschlands, da fließt das güldene Bier in Strömen, da kann ein Mann noch ein Mann sein und den Damen in ihre prall geschnürten Dirndl­-Dekolle­tés luschern. Ach, und „Premiumland beim Klimaschutz“ sei Bayern übrigens auch, schreibt die CSU, denn man schütze das Klima, erhalte die Land­schaft und bewahre die Schöpfung.

 

Es fragt sich bloß, worauf die CSU diese Behauptung stützt, denn „Premi­umland“ würde ja eine Führungsrolle beim Klimaschutz im bundesdeutschen Vergleich suggerieren, tatsächlich ist das „Glücksland“ der Lederhosen und Weißwürschtl aber Schlusslicht. Liebe Bayer*innen – ich weiß, der bayrische Ministerpräsident Markus Söder ist kein Freund des Genderns, „eine Pflicht zum Gendern wird es im Freistaat de­finitiv nicht geben“, twitterte er, aber „je­der soll es persönlich halten, wie er es will“. Ich fühle mich bei diesem generi­schen Maskulinum einfach mal groß­zügig mitgemeint und gendere freistaat­lich raus: Also, liebe Bayer*innen, das wird jetzt ein bisschen wehtun, aber die Schöpfung hat es schwerer als gedacht im Südosten. Das fand der grüne Land­tagsabgeordnete Martin Stümpfig heraus, als er beim bayrischen Umweltministerium mal nachfragte, wie es in Sachen Klimapolitik so laufe, weil er keine aussagekräftigen offiziellen Zah­len dazu finden konnte.

 

Die Antworten sind ernüchternd: Zwar hat Bayern seine Treibhausgasemissio­nen in den vergangenen 30 Jahren senken können, im Vergleich mit dem Rest von Deutschland aber minimal: Während der Freistaat seine Emissionen seit 1990 von 112 auf 95 Millionen CO2-­Äquivalente reduzierte, was einem Rückgang von 15 Prozent entspricht, reduzierte Gesamtdeutschland seine Emissionen um rund 40 Prozent. Bis 2030 sollen es 65 Prozent weniger sein – das ist mehr als viermal so viel wie Bayerns „Leistung“. Ach so, Markus Söder will seinen „Sehnsuchtsort“ bis 2040 übrigens klimaneutral machen, fünf Jahre eher als der Rest der Bun­desrepublik, dafür müsste er das Klima­schutztempo aber mindestens ver­ zehnfachen, rechneten Martin Stümp­fig und sein Team aus.

 

Am meisten muss sich Bayerns Ver­kehr ändern, der macht nämlich rund 30 Prozent der Treibhausgasemissionen aus. Den größten Anteil daran hat wie­derum der Straßenverkehr. Statt zu sinken, sind die vom Verkehr verursach­ten Emissionen seit 1990 sogar um 5,5 Prozent gestiegen. Beim Bundeslän­derindex Mobilität und Umwelt der Allianz pro Schiene belegte Bayern denn auch wenig überraschend den letzten Platz. Sieht so der von der CSU beschwo­rene „Zukunftsort“ aus?

 

Oder ist es gemein, den Bayer*innen gerade jetzt eine Watschn zu geben, wo doch gerade alle damit beschäftigt sind, den Oktoberfesthit Hulapalu von Andreas Gabalier mitzugrölen – „Happy Hour, mittn in da Nocht / Sexy olles danzt, olles locht / 40 Grad am Dancefloor / Hulapalu sogst du in mei Ohr“. Die 40 Grad sind übrigens nicht aus der Luft gegriffen, wie der Bonner Meteorologe Karsten Brandt schon vor einigen Jahren analysierte: Die vielen feiernden Menschen heizen nämlich die Temperaturen an, auf der Wiesn könne es bis zu zehn Grad wärmer werden als anderswo in der Stadt.

 

Aber glücklicherweise ist man nebst all der Sauferei auch auf der Wiesn

am Zahn der Zeit: „Am Thema Nachhal­tigkeit arbeiten wir nicht erst seit ges­tern“, ließ Peter Inselkammer, der Spre­cher der Wiesn-­Wirte, verlauten. In spätestens fünf Jahren sollen alle Fest­zelte klimaneutral sein – das ist jetzt auch nicht gerade Lichtgeschwindigkeit. „Die Wiesn ist unsere Visitenkarte in der Welt“, twitterte Söder zum Anstich – schade eigentlich.


Flugscham war gestern. Jetzt gibt es „Rachereisen“

Um das gleich vorwegzunehmen: Ich schreibe diesen Text auf einer Insel, die sehr weit weg ist, zu der ich also sehr lange geflogen bin, wobei ich folglich die Atmosphäre gemeinsam mit den anderen Fluggästen mit sehr viel CO2 belastete. Ich kompensiere meinen Flug, bin mir aber sehr wohl im Klaren, dass wir uns nicht einfach aus der Verantwortung kaufen können, auf dass etwas oder jemand anders klimafreundlicher wird, damit wir selbst es nicht werden müssen.

 

Ich bin auf diese Insel gekommen, um über die Folgen der globalen Erwärmung zu berichten und um hier Menschen zu treffen, die versuchen, diese einzudämmen. Und ich hoffe, dass der positive Effekt meiner Berichterstattung den negativen Effekt meiner An- und Abreise überwiegt.

 

Ich werde vermutlich nie erfahren, ob es so ist, ich leide also unter Flugscham, einem – wie ich dachte – äußerst zeitgenössischen Phänomen.

 

Kurzum, ich dachte, das schlechte Gewissen hätte endlich in den Flugreisetourismus Einzug gehalten. Bis ich hier einen neuen Begriff lernte: „Revenge Travel“, zu Deutsch: Rachereisen. Ich hörte ihn aus dem Mund einer Amerikanerin, die ich auf einem Tauchboot kennenlernte – meine Recherche beschäftigt sich mit der sterbenden Unterwasserwelt –, und während mir nach dem Tauchgang zum Weinen zumute war, sprach sie diesen Begriff vor mir aus: „Revenge Travel“.

 

Das bezeichnet ein Phänomen, das schon letztes Jahr Fahrt aufgenommen hat, als die Pandemie-Restriktionen heruntergefahren und die Menschen wieder herausgelassen wurden aus ihren heimischen Käfigen. Die Menschen nehmen seither Rache für die verlorene Zeit, die sie mit Serien-Marathons, Telefonkonferenzen und dem Erlernen und Verwerfen von Sauerteigbrotbacken herumgebracht haben. Sie nehmen Rache, indem sie umso mehr reisen.

 

Von November 2021 bis Ende Oktober 2022 verdoppelten sich allein die deutschen Ausgaben für Reisen von 28,8 Milliarden auf 58,6 Milliarden Euro. Für dieses Jahr erwartet der Deutsche Reiseverband noch mehr.

 

Auf der Insel, auf der ich diese Zeilen schreibe, habe ich mehrere Familien getroffen, die Weltreisen oder halbe Weltreisen unternehmen. Eine von ihnen jettete zwischendurch ein paarmal zurück nach Hause, nach Kalifornien, geht ja alles. Ich traf eine junge Australierin, die es sich zum Ziel gesetzt hat, bis zu ihrem 30. Geburtstag 50 Länder „gemacht“ zu haben, wie man im Englischen sagt, weil sie die Zahl so schön findet.

 

Und ich sah, welche Rache die Natur für diese „Rachereisen“ an uns nehmen wird. Glauben Sie mir: Sie wird grässlich sein.


Saubere Luft ist leider schlecht fürs Klima

Es ist heiß. Das vergisst man aus deutscher Perspektive schnell mal. Da, wo die Sonne erbarmungslos sengt, kann nicht einmal der Sprung ins Meer Erlösung bringen, denn auch den Meeren ist heiß. Um genau zu sein: so heiß wie nie zuvor seit Datenaufzeichnung. Vor der Küste des US-Bundestaats Floridas etwa wurden Spitzentemperaturen von 36 Grad gemessen – im Wasser! Das ist die Temperatur, die zum Baden von Babys empfohlen wird. Die Universität Maine zeigt die Wasserhitzerekorde mit ihrem Projekt Climate Reanalyzer sehr anschaulich: Dort ist die tägliche Oberflächentemperatur der Meere über die vergangenen dreißig Jahre zu sehen, der Graph für dieses Jahr droht aus dem Koordinatensystem zu wachsen.

 

Apropos aus dem Koordinatensystem wachsen: Eliot Jacobson, Mathematiker, Informatiker und bekennender Doomer – er betreibt den Blog „Watching the World Go Bye“ (Der Welt beim Sterben zusehen) –, musste angesichts der Hitzerekorde im Nordatlantik kürzlich die Y-Achse seines Koordinatensystems erweitern, die Wassertemperaturen erreichten dort knapp 25 Grad. Das ist die Wassertemperatur in olympischen Schwimmbecken.

 

Die Gründe dafür sind vielschichtig: die so richtig durchstartende globale Erwärmung (hier in Deutschland kann ich das schreiben, ohne um mein Leben zu fürchten; ein Wettermoderator im konservativen US-Bundesstaat Iowa erhielt wegen solcher Aussagen aber Morddrohungen und kündigte deswegen seinen Job), das nun einsetzende Wetterphänomen El Niño – aber auch bessere Luft. Zum einen haben ungewöhnlich schwache Passatwinde in den letzten Monaten weniger Saharasand über den Nordatlantik geweht, und zum anderen ist die Luft ganz einfach saubererer geworden. Zuletzt durch neue Grenzwerte in der Schifffahrt: Seit Anfang 2020 dürfen Schiffe nur noch mit schwefelarmem Treibstoff fahren.

 

Das ist eigentlich gut, denn Schwefeloxide sind schlecht für Böden, Gewässer, Tiere und uns Menschen. Nur fürs Klima waren sie eigentlich ganz gut. Genau wie der Saharasand reflektierten die Partikel in der Atmosphäre das Sonnenlicht. Wenn weniger von ihnen in der Luft hängen, trifft mehr Sonnenlicht auf die Erde – alle, die das Konzept von Licht und Schatten kennen, werden verstehen: Dann wird es wärmer.

 

Dass Luftverschmutzung einen kühlenden Effekt auf die Erde hat, ist der Wissenschaft nicht neu. Schon 2016 titelte etwa eine im Fachmagazin Nature Geoscience veröffentlichte Studie „ Verstärkung der Erwärmung der Arktis durch frühere Verringerung der Luftverschmutzung in Europa“. Die Forschenden erklärten darin einen erheblichen Teil der Erwärmung der Arktis mit der Verringerung der Sulfat-Aerosole in Europa seit 1980. Eine andere Forschendengruppe fand im selben Jahr heraus, dass die Aerosolbelastung in der Atmosphäre rund ein Drittel der kontinentalen Erwärmung abschirmte.

 

Auch das Verbrennen von Öl und Kohle verschmutzt die Luft; hörten wir damit auf, wäre das folglich nicht nur gut fürs Klima. „Trotz der Vorteile für die menschliche Gesundheit könnte die Verringerung der Schwefelemissionen in einer nachhaltigeren Welt die Erwärmung der Arktis im Jahr 2050 um 0,8 °C im Vergleich zum Zeitraum 1995 – 2014 verstärken und damit die Klimavorteile der Treibhausgasreduzierung zunichtemachen“, schrieben Forschende in einer im letzten Jahr veröffentlichten Studie im Fachmagazin Communications Earth & Envi­ronment. Der Zusammenhang von Luftqualität und Klima müsse dringend stärker erforscht werden.

 

Und was machen wir jetzt daraus? Wegen der Luftverschmutzung sterben jährlich rund 6,7 Millionen Menschen, die Klimaerwärmung hat das Potenzial, die Menschheit auszulöschen. Die Welt ist kompliziert – es tut mir leid.


Alle reden von Klimaneutralität – Ich zieh‘s durch!

Eine gute und eine schlechte Nach­richt. Zuerst die gute: „Klima­neutral“ werden zu wollen, ist das neue coole Ding für Staaten, Regionen und Unternehmen. Es ist ein bisschen so, wie am #Blackouttuesday eine schwarze Kachel auf Instagram gegen Rassismus zu posten oder sich bei der Ice Bucket Challenge einen Eimer Wasser über den Kopf zu schütten, um damit auf die Nervenkrankheit ALS aufmerk­sam zu machen. Wer nicht dabei ist, hat echt den Schuss nicht gehört. Jetzt also: null Emissionen.

 

Seit Dezember 2020 ist der Anteil der Länder, die dieses Ziel gesetzlich veran­kert haben oder in einem gewichtigen politischen Dokument versprechen, von sieben auf 75 Prozent gestiegen. Das ist das Ergebnis einer Analyse von Forschenden des Net Zero Tracker, einer Kollaboration von Nichtregierungs­- und Forschungsinstitutionen aus Eng­land, Deutschland und den USA. Vor wenigen Tagen veröffentlichten sie ih­ren dritten Bericht, in dem sie die Klimaneutralitätsversprechen analy­sierten. Die nationalen Versprechen repräsentieren nun 88 Prozent der welt­weiten Treibhausgasemissionen (im Vergleich zu 61 Prozent im Jahr 2020) oder 89 Prozent der Weltbevölkerung (im Vergleich zu 52 Prozent 2020). „Dies zeigt, dass die Regierungen Maßnah­men in Richtung Netto­null-­Emissionen als langfristig entscheidend ansehen“, kommentierte das die malawische Ex­pertin Malango Mughogho – und man kann den Zweckoptimismus schon deutlich raushören.

 

Auch die Wirtschaft ist auf den Netto­null-­Zug aufgesprungen: 929 Unter­nehmen der Forbes­-Liste wollen nun kli­maneutral werden. 2020 waren es noch weniger als halb so viele. Und jetzt schnallen Sie sich an: Selbst die Mehr­heit der fossilen Energieunternehmen ist dabei, wenn es heißt: „Klima ist wie Bier: Warm = Scheiße!“ 75 der 114 größ­ten Kohle-­, Öl­- und Gasunternehmen wollen dem CO2 Adieu sagen, das sie selbst verursachen. „Von fossilen Ener­gieunternehmen zu erwarten, klima­neutral zu werden, mag so wirken, als würde man von Truthähnen verlangen, für Weihnachten zu stimmen“, räumte Steve Smith ein, einer der Beteiligten am Net Zero Tracker.

 

Stimmt, das kann niemand wollen, was uns zur schlechten Nachricht bringt: All diese Versprechen sind leer – oder „Schall und Rauch“, wie die Fan­tastischen Vier sagen würden. Sie reim­ten darauf: „Bevor wir fallen, fall’n wir lieber auf!“ Die Länder, Regionen, Städte und Unternehmen scheinen sich da­mit angefreundet zu haben, dass wir fal­len, alle zusammen, und im freien Fall werden wir noch Klimaplakate hochhal­ten: „Keine Kohle für die Kohle!“

 

Die Forschenden des Net Zero Tracker verglichen die Versprechen mit den Anforderungen der Kampagne „Race to Zero“, mit der die Vereinten Nationen Klimaneutralität fördern wollen. Diese Kampagne hat eine Startlinie, also ab­solute Mindestanforderungen. Eine da­ von ist sehr simpel: Man muss einen Plan haben, wie man das erreichen will. Fast niemand erfüllt die Kriterien die­ser Startlinie. So haben etwa die fossilen Energieunternehmen gar nicht vor, aus den fossilen Energien auszusteigen. Aber man kann eben einfach so tun. Na gut, das kann ich auch!

 

Machen Sie sich keine Sorgen, ich plane, in naher Zukunft die Weltherr­schaft an mich zu reißen, und dann werde ich alle Ölbohrungen einstellen und alle Kohlebagger stoppen, ich werde bunte Windräder aufstellen und Wellenkraftwerke bauen lassen, die Tierfabriken schließen und Naturschutz­gebiete eröffnen. Es wird toll werden! Ich freue mich darauf, Sie in meinem Königreich begrüßen zu dürfen.


Klima: Reden wir über Menschen, nicht über Geld

Ich erzähle niemandem etwas Neues, wenn ich sage: Es wird heiß. Und zwar so heiß, dass es mit einem Wassereis nicht getan sein wird, um damit umzugehen. Auch nicht damit, „lockere, luftige Kleidung“ zu tragen oder „lauwarme Getränke“ zu trinken, weil die besser kühlen, wie der Norddeutsche Rundfunk vergangenen Sommer empfahl.

 

Die Sommer der Zukunft werden nicht sexy heiß, sie werden einfach zu heiß. Das stimmt für manche Teile der Weltbevölkerung mehr als für andere: Während es zwar auch hier in Deutschland deutlich unangenehmer wird und künftig sehr wahrscheinlich mehr – vornehmlich alte – Menschen an Hitze sterben werden, so werden wir in absehbarer Zeit dennoch nicht unsere Koffer packen und in kühlere Gefilde fliehen. Viele andere Menschen auf der Welt aber werden genau das tun.

 

Bis zum Ende des Jahrhunderts könnte ein Drittel der Menschheit gezwungen sein, seine Heimat zu verlassen, wie eine neue Studie im Fachmagazin Nature Sustainability zeigt. Denn um 2100 könnte dieses Drittel außerhalb der Klimanischen leben, innerhalb derer Menschen gut existieren können. Mit den derzeitigen klimapolitischen Versprechen wird sich die Erdatmosphäre bis dahin um durchschnittlich 2,7 Grad erwärmt haben – für ein Drittel der Menschheit wird das zu viel sein. Würden wir die globale Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzen, wären es nur 14 Prozent.

 

Die Folgen von zu starker Hitze sind weitreichend, wie die Forschenden auflisten: „Hohe Temperaturen wurden mit erhöhter Sterblichkeit, verringerter Arbeitsproduktivität, verringerter kognitiver Leistung, Lernschwäche, ungünstigen Schwangerschaftsergebnissen, verringertem Ernteertragspotenzial, verstärkten Konflikten, Hassreden, Migration und der Verbreitung von Infektionskrankheiten in Verbindung gebracht.“ Am meisten Menschen werden davon in Indien, Nigeria, Indonesien, auf den Philippinen und in Pakistan betroffen sein.

 

Die Forschenden wollten den Klimaeffekt auf Menschen zeigen, da „die Kosten des Klimawandels häufig in Geldbeträgen veranschlagt werden, was jedoch ethische Fragen aufwirft“. Außerdem würden „die Auswirkungen auf die Reichen stärker berücksichtigt werden als die auf die Armen (weil die Reichen mehr Geld zu verlieren haben)“.

Man solle übrigens die Klimaanlage bei starker Hitze nicht zu kalt einstellen, riet der Norddeutsche Rundfunk im vergangenen Sommer auch noch. Ich hoffe doch sehr, dass dieser Tipp bei allen Menschen in Indien, Nigeria, Indonesien, den Philippinen und Pakistan angekommen ist.


Großes Hallo auf dem Great Pacific Garbage Patch

Wir wollen es ja richtig machen, wenn wir vor unseren fünf Mülleimern stehen. Wir wollen unseren Müll in den richtigen davon werfen, auf die richtige Art und Weise, damit es an uns nicht liegt, dass die Meeresschildkröten sich in Plastikbändern verheddern. Wer dabei Nachhilfe braucht, dem habe ich aus den Tiefen des Internets das Video „Was kommt in den Gelben Sack?“ herausgesucht, in dem die „Recycling Brothers“ – fünf Kollegen aus der Verwaltung eines Recycling-Unternehmens – auf einen Ballermann-Beat eben darüber singen, was in den Gelben Sack gehört, und wie. Auch die Bundesregierung gibt online etwas altklug Tipps wie „Statt Papiertücher Wischlappen: Wer damit oder mit einem Schwamm aufwischt, spart Papier und Abfall“ oder „Werfen Sie nichts achtlos weg. Abfall gehört weder auf die Straße noch in die Natur und ganz bestimmt nicht in den Gully.“

 

Gerade in Deutschland feilen wir also gerne an unserem Ruf als Recycling–Weltmeister. Im Ausland gehört die Analyse des Abfallsystems zum festen Programm, wieder daheim erzählen wir dann entrüstet: Da wird gar nicht getrennt, alles in EINE Tonne! Wie nun aber eine Recherche des Netzwerks Investigate Europe offenlegt, können wir unseren Müll so achtsam wegwerfen, wie wir wollen, die Joghurtbecher ausspülen und die Sichtfenster aus den Briefumschlägen pulen, recycelt wird er trotzdem noch lange nicht. Nur vierzig Prozent des Altplastiks werden recycelt, der Rest wird verbrannt, verklappt, (illegal) gehandelt oder landet im Meer. Zwischen 2010 und 2020 verdoppelte sich der Anteil des vorsortierten Plastiks, der statt zu Neuplastik zu Brenngut wurde – auf gut 23 Prozent.

 

Und wir verbrauchen immer mehr: Sind es im europaweiten Durchschnitt derzeit 35 Kilogramm Plastik pro Person, könnten es im Jahr 2060 laut OECD-Prognose dreimal so viel werden. Die Antwort darauf ist mehr Feuer: Allein in Polen sollen den Investigate-Europe-Recherchen zufolge vierzig neue Müllverbrennungsanlagen gebaut werden.

 

Elf Millionen Tonnen Plastik landen jedes Jahr im Meer, 2030 könnten es schon doppelt so viel sein. „Vor allem Plastikverpackungen finden den Weg in die Meere“, schreibt die Bundesregierung, so als würden sie da ganz alleine hinlaufen. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass auch unsere ausgespülten Joghurtbecher und herausgelösten Sichtfenster zu Bausteinen der größten Plastikmüllinsel der Welt geworden sind: des Great Pacific Garbage Patch. Die liegt im Nordpazifik und teilt sich auf in einen westlichen Teil in der Nähe von Japan und einen östlichen Teil zwischen den US-Bundesstaaten Hawaii und Kalifornien. Schätzungen zufolge besteht sie aus 79.000 Tonnen Plastik, vieles davon wurde auf seinen Reisen durch die Weltmeere schon zu kleinen Stücken zerrieben.

 

Forschende haben nun herausgefunden, dass sich auf der Plastikinsel seltsame neue Mischungen von Küsten- und Meerestierarten ansiedeln. Sie identifizierten 484 wirbellose Tiere aus einer überraschenden Bandbreite von Arten auf etwas mehr als hundert Plastikteilen, darunter küstennahe Arten wie Moostierchen, Quallen, Schwämme, Würmer und Arten aus dem offenen Meer. Und diese Arten interagieren miteinander. „Wir schaffen im Grunde neue Gemeinschaften im offenen Ozean“, sagt Linsey Haram, die Leitautorin der Studie. Und die Tiere fühlen sich dort so wohl, dass sie sich fortpflanzen.

 

Das könnte uns besorgen, denn noch weiß niemand, wie sich diese neue Plastikgemeinschaft auf andere Ökosysteme auswirkt – sie könnte sich ausbreiten, andere Arten verdrängen und in neue Gebiete eindringen. Oder wir können uns damit trösten, quasi ein internationales Meet and Greet für Meerestiere auf hoher See kreiert zu haben.


Eigentlich wollte Cem Özdemir ja den Schweinen helfen

In George Orwells Farm der Tiere sagt Old Major: „Das Leben eines Tieres ist Jammer und Sklaverei: Das ist die nackte Wahrheit.“ Old Major ist ein Schwein, also jemand, der es wissen muss. Zahlenmäßig am meisten leiden Schweine europaweit in Deutschland: Unser Land ist der größte Schweinefleischerzeuger. Im Schnitt lebt ein Schwein in Deutschland auf 0,75 Quadratmetern. Ich glaube, ich muss nicht erklären, wie wenig das ist.

 

Aber schon eilt der grüne Landwirt­schaftsminister Cem Özdemir zu Hilfe: „Weniger Tieren mehr Platz geben ist mein Programm“, sagte er im Januar dem Deutschlandfunk. „Meine Beamten arbeiten quasi Tag und Nacht.“ Und: „Ich pack das jetzt an.“ Hui, da kommt ja frischer Wind in den Schweinestall!

 

Das ist sein Plan: Özdemir will Schwei­nefleisch mit einer Kennzeichnung fünf verschiedener Haltungsformen versehen: „Stall“ am unteren Ende würde die gesetzlichen Mindestanforde­rungen erfüllen, „Bio“ am oberen Ende ist die beste Haltungsform. Übrigens gilt das alles nur für die Phase der Mast. Ein Entwurf sah für die zweitunterste Kategorie „Stall + Platz“ 20 Prozent (also 1500 Quadratzentimeter) mehr Platz für jedes Schwein vor und eine zusätzliche Tränke für je zwölf Tiere. Das würde noch bei keinem Schwein einen Freudentanz auslösen (dafür hätte es auch keinen Platz).

 

Aber nun wurde der Entwurf sogar noch weiter aufgeweicht. Um bei dem Beispiel „Stall + Platz“ zu bleiben: Jetzt soll es nur noch 12,5 Prozent (also gut 930 Quadratzentimeter) mehr Platz und eine zusätzliche Trän­ke für je 24 Tiere geben. Der Tierschutz­bund vermutet dahinter die FDP und will lieber gar kein Tierhaltungskennzeichen als dieses. Özdemir wäre nicht der erste Landwirtschaftsminister, der mit so einem Label scheitert. Das taten vor ihm auch schon Julia Klöckner (CDU) und Christian Schmidt (CSU).

 

Ich will Sie nicht mit meiner Mei­nung dazu langweilen. Deswegen habe ich stattdessen eine künstliche Intelli­genz gebeten, das Ganze aus Sicht der Schweine zu kommentieren: „Aus unserer Sicht ist es definitiv zu wenig Platz, um uns Schweine artgerecht zu halten“, hat sie geantwortet. „Wir sind neugierige und soziale Tiere und brau­chen Platz, um uns frei bewegen zu können und unsere natürlichen Verhaltensweisen auszuleben. In der engen Haltung auf engem Raum haben wir oft nicht genug Platz, um uns umzudre­hen oder uns hinzulegen. Wir möchten nicht nur als Produktionsmittel be­handelt werden, sondern als lebende, fühlende Wesen respektiert werden.“

 

Ob man es vielleicht mal mit einer KI als Landwirtschaftsminister versuchen sollte?


Werde ich jetzt gefeuert ... wegen dieser Kolumne?

Die Hauptforderung von Greta Thunberg, als sie ihren Klimaprotest vor viereinhalb Jahren begann, lautete stets: „Hört auf die Wissenschaftler!“ Sie meinte damit vor allem die an den Berichten des Weltklimarats Beteiligten – und die meisten von uns fanden das einleuchtend. Lasst die Forschenden reden, befanden wir, das kann ja nicht schaden.

 

Am besten sollen sie nur schreiben, und zwar in unzugänglicher Wissenschaftssprache, gerne kompliziert und mit Schachtelsätzen, Fußnoten, Substantivierungen. Sie wissen schon, so was wie: „Der Klimawandel mit den verbundenen Zunahmen der Häufigkeit und Intensität von Extremereignissen hat die Ernährungs- und Wasserversorgungssicherheit verringert, was Bemühungen, die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) zu erreichen, behindert (hohes Vertrauen).“ Ja, das ist ein echtes Zitat des Weltklimarats.

 

Vor allem aber sollen sie neutral bleiben. Was passiert, wenn sie das nicht tun, haben die amerikanische Geowissenschaftlerin Rose Abramoff und der Klimawissenschaftler Peter Kalmus zu spüren bekommen: Sie hielten auf einer Konferenz der American Geophysical Union im Dezember zu Beginn eines Vortrags ein Banner mit der Aufschrift „Out of the lab & into the streets“ in die Höhe. In der Folge wurden sie von der Tagung ausgeschlossen, es wurde ein Verfahren wegen beruflichen Fehlverhaltens gegen sie eingeleitet, und im Januar wurde Rose Abramoff von ihrem Arbeitgeber, dem Oak Ridge National Laboratory, gefeuert. Nebenbei: Ist es Zufall, dass die Frau gefeuert wurde und der Mann nicht?

 

„Soweit ich weiß, bin ich die erste Geowissenschaftlerin, die wegen Klimaaktivismus entlassen wurde“, so Abramoff. „Ich fürchte, ich werde nicht die letzte sein.“ Mehr und mehr Forschenden fällt die erzwungene Neutralität angesichts der nahenden Katastrophe schwer. Bei einer Umfrage des Fachmagazins Nature unter mehr als 200 Klimaforschenden gaben zwei Drittel an, dass sie sich für den Klimaschutz einsetzen. Längst haben sich auch in Deutschland Ableger wie Scientists for Future oder Scientist Rebellion gegründet. Das sollte uns nicht aufregen, sondern wachrütteln.

 

Auch ich als Journalistin werde stets ermahnt, neutral zu bleiben, egal wie groß das Problem (Klimakrise) und wie offensichtlich die Lösung (Dekarbonisierung) auch sein mag. Aber wissen Sie, was? Ich halte es da mit den Forschenden und schreibe: „Raus aus dem Freitag und rauf auf die Straße!“ Falls Sie mich in Zukunft hier nicht mehr lesen sollten, dann wurde ich gefeuert.


Die leuchtenden Autobahnen des Volker Wissing

Da verrate ich wohl kein Geheimnis, wenn ich sage: Wir müssen uns echt was dazu einfallen lassen, wie wir uns künftig fortbewegen werden. Es gab eine Zeit, in der wir uns das Träumen erlaubt haben. Da stellten wir uns vor, in einer nicht allzu fernen Zukunft auf Hoverboards durch futuristisch designte Städte zu schweben (Zurück in die Zukunft II, 1989) oder mit fliegenden Taxen durch endlose Häuserschluchten zu jagen (Das fünfte Element, 1997). In den Zukunftsvisionen von heute fänden wir es schon sagenhaft, wenn die Züge pünktlich kämen und mit ein und demselben digitalen (!) Ticket nutzbar wären. Es wäre vermutlich auch nicht schlecht, wenn die Klimaanlagen darin funktionierten und die Schienen genügend Sicherheitsabstand zu potenziell umstürzenden Bäumen hätten, denn – Sie haben es wohl schon einmal gehört – die Klimaerwärmung wird künftig für mehr Hitze und Stürme sorgen.

 

Um solche sogenannten Extremwetterereignisse noch abzuwenden, ist es schon zu spät. Dafür ist auch der Verkehrssektor verantwortlich. In Deutschland trägt er mit knapp 150 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten zu den nationalen Treibhausgasemissionen bei, das sind rund 20 Prozent. Der Verkehr ist der einzige Bereich, der in den vergangenen Jahrzehnten seinen Treibhausgasausstoß nicht mindern konnte

– oder sollte ich sagen: wollte? Deutschlands diverse Verkehrsminister bleiben nicht unbedingt wegen ihrer Innovationsfreudigkeit in Erinnerung. Da bildet auch der derzeit amtierende Volker Wissing (FDP) keine Ausnahme, der kürzlich erst wieder verkündete: „Autofahren bedeutet Freiheit“ (der Freitag 05/2023). Das hätte auch eine Autowerbung nicht besser auf den Punkt bringen können.

 

Wissing will deswegen auch die Autobahnen weiter ausbauen, für mehr Freiheit sozusagen. Es sollen Wälder gerodet und neue Flächen versiegelt werden, damit darauf noch mehr Autos Abgase ausstoßen können. Studien haben gezeigt, dass mehr Straßen den Verkehr aber nicht entspannen, sondern zu mehr Verkehr anregen – seit 1995 hat die Fahrleistung in Deutschland um mehr als 20 Prozent zugenommen.

 

Trotzdem will Wissing an den neuen Autobahnen festhalten. Wenn Sie das ein wenig gestrig finden, dann haben Sie damit absolut recht, denn diese Ausbaupläne aus dem Bundesverkehrswegeplan stammen tatsächlich aus den 1980er und 1990er Jahren. Hunderte Kilometer neuer Autobahnstrecken will Wissing demnach durch Deutschland ziehen, viele Abschnitte plant er achtspurig, die A3 und die A5 in Frankfurt gar zehnspurig. Das ist ungefähr so innovativ wie Elon Musks großspurig angekündigte „Erfindung“ in Las Vegas: ein 2,7 Kilometer langer Tunnel, in dem man an Bord von beständig im Kreis fahrenden Teslas dem oberirdischen Verkehr entkommen soll. Ursprünglich sollten sich einmal viele solcher Tunnel durch mehrere amerikanische Städte ziehen, die Autos darin autonom fahren, mit Geschwindigkeiten von bis zu 240 Stundenkilometern. Nun werden sie von Menschen gefahren, mit etwas mehr als 50 Stundenkilometern. Die Räder der Autos wollte Musk ursprünglich an die Schienen im Tunnel anpassen, daraus wurde aber ebenfalls nichts.

 

Wer unterrichtet den armen Mann nun davon, dass die U-Bahn schon 1870 in London mit dem Tower Subway erfunden wurde? Der Schienenwagen darin fuhr allerdings nur wenige Monate, weil die Betriebskosten zu hoch waren, danach wurde der Tunnel für Fußgänger freigegeben. Okay, Musks Tunnel kann in unterschiedlichen Farben leuchten, das ist schon krass futuristisch. Das ließe sich ja auch für die neuen Autobahnen von Volker Wissing überlegen, ich schlage dafür einen neuen Begriff vor: Futurewashing. Hauptsache, es leuchtet schön.


Von Antichrist zu Aktivist: über die „Letzte Generation“

Beim Nachdenken über die selbst ernannte „Letzte Generation“ kam mir ein Comic des Schriftstellers und Zeichners Robert Gernhardt in den Sinn: „Wo dieser Strich zu Ende ist, da wartet schon der Antichrist“, lautet der Text, zu sehen sind ein langer Strich und, nun: der Antichrist. Gewissermaßen stellt sich die „Letzte Generation“ ja an das Ende einer Linie, die in die falsche Richtung zeigt, nämlich immer noch zu weit nach oben, und tut deswegen, was der Antichrist tut: Sie stört und nervt die guten Christen, die doch einfach nur in Ruhe ihr gutes christliches Leben weiterleben wollen.

 

Der Vergleich hinkt natürlich etwas, denn die „Letzte Generation“ will das Christentum nicht zerstören. Aber er passt insofern, als es sowohl beim Antichrist als auch bei der Protestgruppe um Figuren der Endzeit geht. Nach der letzten Generation kann ja nichts mehr kommen, auch nicht mehr die allerletzte oder die allerallerletzte. Das ist es doch, was die „Letzte Generation“ den guten Christen und allen anderen klarmachen will: Genug auf Kirchenbänken, Gebetsteppichen oder Yogamatten rumgesessen, wenn wir jetzt nichts tun, dann war’s das mit der Menschheit.

 

Der Vergleich mit dem Antichrist passt aber auch insofern, als die Protestgruppe von vielen als der Antichrist beschimpft wird, der bereit sei, über Leichen zu gehen und über kaputte Gemälde. Mitglieder der Gruppe haben im vergangenen Jahr mehrfach Straßen und Rollfelder blockiert, indem sie ihre Hände mit Sekundenkleber darauf festklebten.

 

Und sie haben Gemälde mit Lebensmitteln beworfen, etwa das Bild „Ge­treideschober“ von Claude Monet mit Kartoffelbrei. Die Gemälde waren allerdings alle hinter Glas, und höchstwahrscheinlich ist auch noch niemand durch die Verkehrsblockaden gestorben. Das wurde zwei Aktivisten zwar vorgeworfen, die sich auf der A 100

in Berlin festgeklebt und dadurch die Fahrt eines Rettungsfahrzeugs zu einer verunglückten Radfahrerin, die später im Krankenhaus starb, verlangsamt hatten. Allerdings wurde die Fahrt nur um wenige Minuten verzögert, und die Frau war bereits von anderen Rettungskräften geborgen worden. Berlins SPD-Innensenatorin Iris Spranger fand trotzdem, die Aktivistengruppe nehme die Bevölkerung in „Geiselhaft“.

 

Diesen Vorwurf könnte man genau so an die Politik zurückgeben, die uns mehr oder weniger tatenlos in die Klimakatastrophe jagt, weil es ihr zu anstrengend ist, etwas dagegen zu tun. Die Klimabewegung versucht sie seit Langem auf jede erdenkliche Art dazu zu bewegen: Demonstrationen, Blockaden, Appelle, Streiks – da ist es nur verständlich, es auch mal mit unangenehmeren Methoden zu probieren. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin prüft nun den Verdacht, die „Letzte Generation“ habe sich der Bildung einer kriminellen Vereinigung schuldig gemacht. Mehr als 1.300 Menschen haben sich daraufhin bereits selbst angezeigt.

 

Die Aufmerksamkeit ist also da. Nur liegt sie vor allem auf der „Letzten Generation“, weniger auf der Verhinderung des Klimakollaps.

 

Das Problem: Die Aktionen haben kaum bis gar nichts mit dem Klima zu tun. „Peinliches Geständnis: Wusste nicht, dass der Klimawandel von französischen Impressionisten verursacht wurde“, brachte das Scott Shapiro auf den Punkt, Professor für Recht und Philosophie in Yale. Es ist schwierig, wenn man die Aktion erst erklären muss – und wenn sie selbst dann unklar bleibt. „Man sollte nicht auf die Sprache der Maler hören, sondern auf die Sprache der Natur“, hatte eine Klimaaktivistin zur Erklärung Van Gogh zitiert.

 

Ich sag’s jetzt mal, wie es ist: Die Sprache der Natur wird ziemlich unmissverständlich werden, wenn wir klimapolitisch nicht bald aus dem Knick kommen, Kartoffelbrei hin oder her.


Die Klimapolitik der Schweiz

Die Schweiz hat versprochen, bis 2030 ihre CO2-Emissionen um 50 Prozent gegenüber denen im Jahr 1990 zu senken. Dazu hat sie bloß keine Lust. Was die Schweiz aber hat, ist Geld. Also hat sie sich überlegt, als weltweit erstes Land ärmere Länder dafür zu bezahlen, Emissionen in ihrem Namen zu senken. Da muss man sich

gar nicht ändern und kann sich sogar vormachen, den Armen der Welt zu helfen.

 

Ein erstes Klimaschutzprojekt hat das schweizerische Bundesamt für Umwelt mit Ghana unterschrieben. Die Schweiz bezahlt nun Menschen in Ghana dafür, auf eine klimafreundlichere Art und Weise Reis anzubauen (normalerweise entsteht dabei viel Methan). Bis 2030 soll Ghana damit über eine Million Tonnen CO2-Äquivalente einsparen. Die rechnet sich dann aber eben nicht Ghana an, sondern die Schweiz, weil die ja dafür gezahlt hat.

 

Bis zu ein Drittel ihrer CO2-Einsparungen will die Schweiz auf diese Weise von anderen umsetzen lassen. Weitere Auslandsprojekte sind etwa mit Peru, Senegal und Vanuatu geplant – Ländern, die nicht nur besonders wenig zur Klimaerwärmung beigetragen haben, sondern auch besonders stark unter deren Folgen leiden. In Peru schmelzen die Andengletscher ab, Senegal wird von extremen Dürren und Überschwemmungen heimgesucht, und der Inselstaat Vanuatu droht unter dem steigenden Meeresspiegel zu verschwinden. Sie alle sollen nun CO2 sparen, damit die Schweizer weiter SUV fahren können.

 

Das ist nicht nur geschmacklos, sondern wohl sogar kontraproduktiv für den Klimaschutz. Denn die Gefahr ist, dass die Schweiz Projekte finanziert, die ohnehin schon geplant waren. Es wären dann also keine „neuen“ Einsparungen. Die Schweiz bestreitet das, bei einem geplanten Klimaschutzprojekt in Georgien deckte das deutsche NewClimate Institute eine solche Dopplung aber bereits auf. Oft erzielten solche Projekte darüber hinaus gar nicht die versprochenen Reduktionen, kritisiert Greenpeace.

 

Egal, die Schweiz reibt sich derweil die Hände, denn CO2 im Ausland zu sparen ist viel billiger als daheim: 20 bis 40 Franken statt etwa 120 Franken pro Tonne CO2, rechnet die Neue Zürcher Zeitung vor. Und im Land des Bergkäses läuft weiter business as usual – nobel geht die Welt zugrunde.


Oh Gott, ich will hier weg! Null Bock auf die AKW-Debatte

Alles kommt zurück. Auch jene Dinge, die wir lieber in der Vergangenheit zurückgelassen hätten, um sie nur noch manchmal schmunzelnd auf alten Fotos anzuschauen. Die Schlaghose (ihr Comeback feierten die Modezeitschriften schon letztes Jahr), der Vokuhila (für dessen Wiederkehr einige die Pandemie verantwortlich machen, weil man ihn sich relativ leicht selbst schneiden kann), das Ozonloch (gerade verkündete ein kanadischer Forscher, ein neues gewaltiges Loch über den Tropen gefunden zu haben, von dem etwa die Hälfte der Weltbevölkerung betroffen sei), vielleicht Donald Trump (...) – und jetzt auch die Atomkraft. Wir scheinen es nicht zu lernen: Was einmal hässlich war, darf auch zweimal hässlich sein.

 

Falls Sie also noch alte „Atomkraft? Nein danke“-Aufkleber im Schrank liegen haben, dann lassen Sie uns hoffen, dass die noch kleben: Sie werden wieder gebraucht!

 

Das EU-Parlament stimmte vor wenigen Tagen dafür, Gas und Atomkraft im Rahmen der EU-Taxonomie als nachhaltig einzustufen. Finanzinvestitionen in Atomkraftwerke würden damit ab 2023 als nachhaltig gelten, weil sie nun als „Brückentechnologie“ zur Klimaneutralität eingestuft werden. Österreich hat schon angekündigt, dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof zu klagen. Die EU-Staaten könnten das auch noch außergerichtlich blockieren, dafür müssten sich allerdings 20 Staaten zusammenschließen, die gemeinsam mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung vertreten – was eher unwahrscheinlich ist.

 

Wieso? Weil Atomenergie wieder voll „in“ ist: Frankreich hat sich sowieso nie davon abbringen lassen, Polen will nun sein erstes Kraftwerk bauen, bis 2043 sollen es sechs werden, auch Zwischen- und Endlager für die verbrauchten Brennstäbe sind geplant, die Standorte stehen noch nicht fest. Also alles easy!

 

Wenige Monate bevor in Deutschland die letzten drei Atomkraftwerke heruntergefahren werden sollen, geht auch hierzulande die Diskussion wieder los, ob das denn wirklich die richtige Entscheidung ist. Die FDP fordert angesichts der Gaskrise, die Kraftwerke wenigstens drei Monate länger in Betrieb zu lassen und die Argumente darüber „vorurteilsfrei“ auszutauschen, wie es Bundesfinanzminister Christian Lindner formuliert.

 

Und auch außerhalb der EU bereitet man sich fröhlich auf eine Rolle rückwärts in die Radioaktivität vor: Der südkoreanische Präsident annullierte den Atomausstieg seines Vorgängers, und elf Jahre nach der Katastrophe in Fukushima will selbst Japan wieder Kraftwerke bauen. Ich fand Missionen, um andere Planeten zu besiedeln, bislang albern – aber jetzt will ich hier weg. Vielleicht zusammen mit E.T.? Die 80er sind doch gerade wieder in.


Das EU-Parlament hat keinen Sinn für Tank-Romantik

Der beißende Geruch von Benzin, das schwungvolle und punktgenaue Anfahren an die Tanksäule, das lässige Einstecken des Zapfhahns, einer Penisverlängerung gleich, in die einladende Öffnung des geliebten Autos, der kleine Schüttler am Ende – das alles wird bald der Vergangenheit angehören. So will es zumindest das EU-Parlament: Von 2035 an sollen keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden. Keine Angst liebe Autofreunde, entschiedene Sache ist das noch nicht. Bis zum Ende des Monats müssen sich nun erst mal die EU-Mitgliedstaaten dazu positionieren – und sich dann mit dem Parlament einigen. Da kann also noch einiges aufgeweicht werden.

 

Wenn Sie nun aber auf die deutsche Autofahrernation als Bremskeil im Getriebe des Fortschritts setzen, muss ich Sie leider enttäuschen: Bundesumweltministerin Steffi Lemke von den Grünen hat sich stellvertretend für Deutschland bereits zum Verbrenner-Aus 2035 bekannt. Nicht aber das Bundesverkehrsministerium. Dabei fordern viele große Autohersteller selbst einen Umstieg auf Elektromobilität. Audi zum Beispiel will von 2026 (!) an keine neuen Verbrenner mehr auf den Markt bringen.

 

Schon als sechs Autobauer – darunter Mercedes-Benz, Volvo und Ford – vergangenes Jahr auf dem Weltklimagipfel in Glasgow erklärten, spätestens 2035 in führenden Märkten nur noch emissionsfreie Autos verkaufen zu wollen, machte das Verkehrsministerium unter der damaligen Leitung von Andreas Scheuer von der CSU eine peinliche Figur. Er wünschte sich einen Erhalt der Verbrennertechnologie mit synthetischen Kraftstoffen – die kann man auch so richtig mit Zapfhahn und Lässigkeit in den Tank reinspritzen. Die sogenannten eFuels sind aber teuer und werden wahrscheinlich in der Luft- und Schifffahrt gebraucht.

 

Weil das EU-Parlament jetzt auch die synthetischen Kraftstoffe aus seinen Plänen ausschließt, ist der jetzige Verkehrsminister Volker Wissing von der FDP gegen diese Pläne – da spritzt halt nichts.

 

Na, was machen wir denn jetzt? Ein interessantes Schlupfloch hat die Auto Bild gefunden: Einem Betrieb von Verbrennern auf Privatgelände oder Rennstrecken sollte das neue Gesetz nicht widersprechen. Wenn Sie also zum Lager der Herren Scheuer und Wissing gehören, hier folgender Rat: Schließen Sie sich mit Ihren Nachbarn zusammen, machen Sie die Vorgärten platt und bauen Sie dort eine private Straße, parallel zur öffentlichen. Eine private Tankstelle könnten Sie da dann auch hinbauen – und dort den lieben langen Tag lässig an der Zapfsäule lehnen.


Saudi Aramco stellt den Sekt kalt – es wird 1,5 Grad wärmer

Wir scheinen der Katastrophe näher als gedacht: Gerade hat die Weltwetterorganisation verkündet, dass eine Erderwärmung von 1,5 Grad in den kommenden fünf Jahren erreicht werden könnte. Wir erinnern uns: Mit dem Pariser Klimaabkommen haben sich die unterzeichnenden Staaten dazu verpflichtet, die globale Erwärmung möglichst unter dieser Marke zu halten. Wenn sie nun in einem Jahr gerissen wird, heißt das noch nicht, dass das Vorhaben gescheitert ist, dafür müsste die Temperatur langfristig bei plus 1,5 Grad liegen. Aber es ist eine klare Ansage, wo die Reise hingeht, und zwar sehr viel schneller als gedacht.

 

Während wir uns noch von dieser Schocknachricht erholen, knallen in Saudi-Arabien die Sektkorken. Denn der Ölkonzern Saudi Aramco, der zu 95 Prozent der saudischen Regierung gehört, hat dieser Tage den IT-Konzern Apple als wertvollstes Unternehmen der Welt abgelöst: Er wurde mit 2,42 Billionen US-Dollar bewertet – das ist eine Zahl mit zwölf Nullen –, Apple sank auf 2,37 Billionen Dollar.

 

Ja, Sie haben richtig gelesen: In Zeiten, in denen jeder Wicht verstanden hat, dass wir die weltweiten CO2-Emissionen so schnell wie möglich senken müssen, macht ein Ölkonzern nicht nur „business as usual“, sondern „business better than ever“. Und das, obwohl an der Weltmarktspitze eigentlich längst das Zeitalter der Tech-Firmen angebrochen ist. Saudi Aramco ist der letzte verbliebene Energiekonzern in den Top Ten, in denen ansonsten Microsoft, Alphabet, Amazon und Co. um die Führung konkurrieren.

 

Aber für Saudi Aramco läuft es auch in finsteren Zeiten einfach rund, der Ölkonzern fördert größtenteils aus leicht und günstig zu erschließenden Feldern an Land oder in flachen Gewässern. Wenn ich schreibe „rund“, dann meine ich nicht Nuancen: Der Unternehmensgewinn von Saudi Aramco hat sich im vergangenen Jahr nicht nur ein bisschen verbessert – nein, er hat sich verdoppelt. Zupass kamen dem Ölgiganten die Krisen unserer Zeit: Zum einen das Ende der Coronakrise, denn die wirtschaftliche Erholung ließ die Nachfrage nach Öl in die Höhe schießen, zum anderen der Beginn der durch die russische Invasion in die Ukraine ausgelösten Energiekrise.

 

Und jetzt geht es eben mit Vollgas in die Klimakrise. Man wird da ja wohl ein bisschen Geld verdienen dürfen, solange es noch geht, oder? Wir hängen da übrigens so gut wie alle mit drin – wer in den vergangenen Tagen vollkommen ohne Öl oder Produkten aus Öl gelebt hat, werfe nun gerne den ersten Stein.


Dann stirbt der Homo sapiens eben aus – auch cool

Es ist amtlich: Deutschland hat sein Klimaziel zum zweiten Mal in Folge verfehlt. Statt abzunehmen, nahmen die Treibhausgasemissionen 2021 gegenüber dem Vorjahr sogar um 4,5 Prozent zu. Das ist nicht nur ein bisschen mehr, nein, das ist historisch viel mehr: Es ist die größte prozentuale Zunahme der Treibhausgasemissionen seit 1990, wie der Klimarat in seinem vor Kurzem veröffentlichten Prüfbericht feststellte.

 

Das ist ganz generell beschämend, insbesondere in einem Jahr, in dem die Gesellschaft für deutsche Sprache die Aussage „fünf nach zwölf“ auf Platz zehn der Wörter des Jahres wählte als einen „beliebt gewordenen Ausdruck für besonders starken Aktionsbedarf in der Klimapolitik (...) oder auch in anderen Zusammenhängen“. Ja, Klimafatalismus ist so richtig en vogue! Da ist es ein ziemliches Scheißgefühl, weiterhin ungebremst, ja sogar mit erhöhter Geschwindigkeit, auf eine Klimaerwärmung zuzurasen, die unser aller Leben sehr ungemütlich machen wird. Vielleicht mag sich der eine oder die andere mit dem Gedanken trösten, dass es klimatische Veränderungen auf der Erde ja schon immer gegeben hat, so schlimm kann es doch nicht sein?

 

Das ist ja nicht ganz falsch. Die Erde umkreist die Sonne nicht gleichmäßig, sie eiert eher auf einer sich bewegenden Ellipse um sie herum und verändert dabei auch noch ihren eigenen Winkel. Deswegen strahlt die Sonne unterschiedlich stark auf die Erde, also verändert sich das Klima. Welchen Einfluss das auf menschliche Populationen hatte, erforschte nun ein internationales Wissenschaftlerteam. Bislang konnte man dazu nur Vermutungen anstellen, weil es wenige Klimaaufzeichnungen aus den vergangenen paar Hunderttausend Jahren von Orten gibt, an denen Fossilien gefunden wurden. Aber nun ließen die Forscher den südkoreanischen Supercomputer Aleph über sechs Monate hinweg nonstop laufen, und der errechnete die längste umfassende Klimamodellsimulation aller Zeiten. Das Ergebnis: Klimatische Veränderungen hatten einen großen Einfluss darauf, wo unsere Vorfahren lebten und wer wir heute sind. „Unsere Studie belegt, dass das Klima eine grundlegende Rolle bei der Evolution unserer Gattung Homo gespielt hat. Wir sind, was wir sind, weil wir es geschafft haben, uns über Jahrtausende hinweg an langsame Klimaveränderungen anzupassen“, sagt Axel Timmermann, der Leitautor der Studie.

 

In einem 13-minütigen Youtube-Video erklärt der Forscher die Hauptfunde, ganz zu Anfang zeigt er unseren Familienbaum. Unten all jene Gattungen, die ausgestorben sind, also etwa Australopithecus oder Paranthropus. Die sind ausgestorben, weil sich das Klima und damit auch das Nahrungsangebot für sie ungünstig verändert hatte. Oben auf dem Familienbaum stehen wir, die es bis hierher geschafft haben: Homo sapiens. Tja, und der Baum sieht da so schön fertig aus mit Krone und allem, aber es ist ja doch recht unwahrscheinlich, dass er nicht weiterwachsen wird. Was ich damit sagen will: Wenn wir jetzt zum ersten Mal in der Erdgeschichte dabei sind, das Klima aktiv zu verändern, dann wird vermutlich etwas sehr Ähnliches passieren wie bei den vorherigen natürlichen Schwankungen. Dann kriegt der Familienbaum einen neuen Ast – ob unser Ast dann noch weiterwächst, sei mal dahingestellt.

 

Solange wir also damit leben können, dass wir Homo sapiens in der Zukunft ganze Kontinente verlassen müssen oder dass wir eben eventuell bald einfach aussterben und von der nächsten Gattung abgelöst werden, ist das alles gar nicht weiter beunruhigend mit dem Klimawandel – alles cool.


Their hearts will go on: Ein Klima für die Liebe der Albatrosse

Wäre der Klimawandel ein Kinofilm, dann wäre er mäßig besucht: zu diffus, zu kompliziert, zu abstrakt und – zumindest bis­lang noch – zu weit an der Lebensrealität der meisten Menschen vorbei. Und wo ist die Liebesgeschichte? Filme mit Beziehungsdramen verkaufen sich ein­fach besser. Deswegen werden in Holly­wood sogar Skripte, die auf wahren Be­gebenheiten beruhen, mit gefühlvollen Liebesgeschichten „aufgehübscht“. James Cameron etwa dachte sich das Drama rund um Rose und Jack in Titanic kom­plett selber aus. Kann man doof finden, hat aber angesichts von elf Oscars und gut 130 Millionen Kinobesuchern ganz gut geklappt.

 

Was heißt das für die Massentaug­lichkeit des Klimawandels und das Enga­gement für seine Bekämpfung? Eine Liebesgeschichte muss her! Glücklicher­weise wird uns diese nun von For­schenden der Universität Lissabon ge­liefert. Seit 15 Jahren beobachten sie die Fortpflanzung der Schwarzbrauen­albatrosse auf der westlich gelegenen Falklandinsel New Island, auf der die Tiere sich alljährlich zur Brutzeit treffen – und zwar immer mit demsel­ben Partner. Albatrosse sind extrem treue Liebende, ihre bis zu siebzig Le­bensjahre verbringen sie zwar größ­tenteils getrennt voneinander, ihre Kü­ken ziehen sie aber Jahr für Jahr mit ihrer Liebe fürs Leben auf.

 

Die Treue der Vögel bröckelt nun aber angesichts des Klimawandels. Der heizt das Meer an, und in Jahren mit höheren Meerestemperaturen beob­achteten die Forschenden mit 7,7 Pro­zent eine mehr als doppelt so hohe Trennungsrate bei den Albatrosspaaren wie in normalen Jahren, in denen sich nur 3,7 Prozent von ihnen trennen. Bis jetzt war der Grund meist, dass es mit der Fortpflanzung nicht klappte. Warum die höheren Temperaturen die Paare entzweien, ist unklar. Die zwei Thesen der Forschenden: Wärmere Gewässer sind nährstoff-­ und ressource­närmer, die Vögel müssen also länger jagen und schaffen es nicht rechtzeitig zur Brutzeit zu ihrem Partner, der sich dann einen anderen sucht. Oder: Die höhere Temperatur stresst die Weib­chen, sie machen dafür ihren Partner verantwortlich und trennen sich.

 

Und nun frage ich: Können wir ernst­haft wollen, dass die Liebe der treuesten Tiere auf diesem Erdball in die Brüche geht, nur weil wir gerne Kohle und Öl verbrennen? Oder könnte das der Hollywood-­Moment der Klimaschutzbe­wegung werden? Die Rettung der Liebe der Albatrosse! Ein Paar fliegt zusammen in den Sonnenuntergang, kitschige Musik, Abspann, Vorhang. Und danach geht ein empörtes Millionenpublikum auf die Straße.

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