Pfui Tüte! Nächste Bürgerpflicht ist die Plastikscham

Achtung, Achtung, es geht dem Hemd an den Kragen! Besser gesagt der Hemdchentüte, jener flattrigen Plastikhülle, in der Sie im Supermarkt bislang Ihr Obst und Gemüse verstauten. Ihr niedlicher Name – den sie trägt, weil sie aussieht wie ein Un- terhemd – täuscht darüber hinweg, welch ein Monster sie ist. Mit ihr ist nun ein neuer Umweltsünder aus der Familie der Plastikgegenstände enttarnt. Sie muss weg.

 

Wer sich noch vor Kurzem gefragt hat, warum es mit dem Umweltschutz bloß so dermaßen schleppend vorangeht, der ist genau wie das Europaparlament in diesem Frühjahr sicher schnell auf Strohhalme und Luftballonhalter gekommen. Wie hatten wir diese Riesensauerei auf Europas Kindergeburtstagen nur so lange übersehen können? Wenn die von 2021 an erst mal verboten sind, so hoffen Sie sicher auch, dann würde das Problem mit den vermüllten Weltmeeren endlich ein Ende haben. Aber da haben Sie Ihre Rechnung ohne die Hemdchentüte gemacht. Denn sie hat klammheimlich den Platz der Plastiktragetasche eingenommen. Seitdem die vor drei Jahren kostenpflichtig geworden ist, gibt es doch tatsächlich ein paar Füchse, die ihre Supermarkteinkäufe einfach in die kostenfreien Tütchen aus der Obst- und Gemüseabteilung stopfen. Jeder deutsche Bundesbürger zog im vorigen Jahr 37 dieser unscheinbaren Tüten von der Rolle – 37 Umweltsünden.

 

Aldi eilt nun zur Rettung: Der Discounter will für jede Hemdchentüte künftig den Mindestbetrag von einem Cent berechnen, das sind für jeden von uns dann immerhin 37 Cent im Jahr! Wir sollten uns schämen, dass wir es so weit haben kommen lassen, dass nun solch drastische Maßnahmen nötig sind, um uns zu erziehen. Plastikscham ist übrigens nach Flugscham das nächste große Ding. Der East West Market im kanadischen Vancouver wollte seine Kunden dazu bringen, weniger Tüten zu benutzen, indem er die Tüten mit peinlichen Schriftzügen wie „Wart Ointment Wholesale“ (Warzensalben-Großhandel) bedruckte. Er bewirkte das Gegenteil: Statt sich zu schämen, sammelten die Kunden die Plastikbeutel. Damit wir uns so richtig schämen, sollten tote Seevögel auf die Tüten gedruckt werden, schlug der Guardian in einem Kommentar vor.

 

Aber wissen Sie, wer sich eigentlich schämen sollte? Der Tütenhersteller, die Erdölindustrie und die Politik, die uns weismachen will, wir seien das Problem und nicht die Großkonzerne, die uns mit ihrem Plastikkram vollmüllen. Ich wäre bereit, meine letzte Hemdchentüte zu geben, aber sind es auch die, die an ihr verdienen?


Sind E-Roller toll? Nun, jeder Arschtritt wäre besser für uns

In Portland wachsen die E-Scooter auf den Bäumen. Zumindest sieht es auf manchen Instagram-Fotos aus der Stadt im Nordwesten der USA so aus, auf der Seite des Scooter-Chaos-Dokumentators pdxscootermess etwa. Da stecken sie hoch oben im Geäst städtischer Bäume, und wie schön wäre es, zu glauben, dass diese sie hervorgebracht hätten wie ihre Blüten und Blätter und die Roller eine Frucht aus Wasser, Nährstoffen und Photosynthese wären – ein Geschenk der Bäume an uns, auf dass wir mit ihnen umweltfreundlich unter ihren Blätterdächern umherrollen können. Bloß, so schwer, wie wir den Bäumen ihr Leben machen, würden sie uns eher einen Arschtritt verpassen, wenn sie könnten. Und dann, während wir uns wieder aufrappeln, würden sie uns anbellen: „Und hört auf mit diesen albernen E-Rollern, damit würdet ihr uns, euch und dem Klima einen größeren Gefallen tun!“ Recht hätten sie.

 

Deutschland aber fängt jetzt erst mal mit den E-Zweirädern an. Nachdem

die halbe Welt von San Francisco bis Singapur schon aufrecht stehend durch die Straßen flitzt, hat der deutsche Bundesrat nun der Elektrokleinstfahrzeugeverordnung zugestimmt, ab dem Sommer soll dann die ganze Republik auf „E“ sein. Alle klopfen sich dafür schon mal gegenseitig auf die Schultern: Deutschland beweist Verantwortungsbewusstsein für das Klima! Denn sobald irgendwo ein E davorsteht, muss es ja umweltfreundlich sein.

 

Das wäre dann so, wenn die Roller Autos ersetzen würden, was sie aber nicht tun. Stattdessen ersetzen sie Fahrräder und die althergebrachte Fortbewegung zu Fuß. Beides ist nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch noch gesünder.

 

Das so grün blinkende E ist also tückisch. Es steht für Elektro, also für Strom, der nur dann klimafreundlich ist, wenn er aus erneuerbaren Quellen stammt. Was er derzeit in Deutschland nur zu etwa 40 Prozent tut. Und vor allem muss er in Akkus gespeichert werden. Deren Herstellung ist sehr energieintensiv und ihre Bestandteile lassen wir unter unmenschlichen Bedingungen in armen Ländern von Menschen aus dem Boden kratzen, die unsere E-Roller erst als Elektroschrott zu Gesicht bekommen werden. Immerhin sind die meisten Leihroller schon nach wenigen Monaten hin – ein Großteil der Geräte wird billig in China produziert. Lange warten müssen sie also nicht.

 

Die wahre Geschichte hinter den Rollern im Geäst ist also: Die Bäume nehmen sie uns weg und verstecken sie so hoch oben in ihren Kronen, damit wir an sie nicht mehr rankommen. Eine erzieherische Maßnahme also. Danke.


Alles Gute zum 30.! Das Internet ist jetzt groß und dreckig

Juchee, du wirst jetzt 30, liebes Internet! Darauf möchte ich einen Toast ausbringen. Am 30. April 1993 setzte Tim Berners-Lee dich, oh du körperloser Dschinn, in die Welt. Dein Verschwinden kann und will sich niemand mehr vorstellen – nicht einmal diejenigen, die noch eine Welt ohne Suchmaschinen und digitale Freundschaftsbücher kennengelernt haben. Während deiner dreißig Lebensjahre haben wir so gut wie alles in deinen glorreichen Cyberspace verlagert, weil es da einfach besser, schneller und schöner ist. Wir tauschten den Brockhaus gegen Wikipedia ein, Briefe gegen E-Mails, das Telefon gegen Skype, die Plattensammlung gegen Spotify, das Fernsehen gegen Youtube, Lächeln erst gegen *g*, dann gegen lol und :-). Und seit wir zu begreifen beginnen, dass die Welt und ihre Ressourcen endlich sind, haben wir auch das Gefühl, dem Klima damit einen großen Dienst zu erweisen, denn aus materiell wird ja immateriell, also aus etwas: nichts.

 

Dem liegt der beinahe drollige Irrglaube zugrunde, du, liebes Internet, seist eine diffuse Wolke, welche die Laster der stofflichen Welt auf wundersame Weise überwunden hat. Tja, es ist ein bisschen unglücklich, das jetzt ausgerechnet zu deinem Geburtstag richtigstellen zu müssen, aber das ist natürlich Quatsch. Du bist mit Rechenzentren, Sensoren, Unterseekabeln, Computern, Smartphones und anderen digital vernetzten Geräten wie Autos und Kühlschränken eigentlich gar nicht wolkig, sondern sogar äußerst handfest – und leider ein handfestes Problem.

Letztes Jahr haben deine vier größten Konzerne Google, Amazon, Microsoft und Facebook mehr Geld investiert als die Bad Boys des Klimaschutzes: Shell, Exxon, BP und Chevron. Laut einer neuen Studie der französischen Denkfabrik „The Shift Project“ bist du Dschinn, materialisiert in der Informations- und Kommunikationstechnologie, für 3,7 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich, das ist fast doppelt so viel wie der Anteil der zivilen Luftfahrt. Und weil wir mit der Digitalisierung längst nicht fertig sind, wächst du stetig. Wir freuen uns ja, dass du schon so groß geworden bist – aber du machst dabei leider zu viel Schmutz: Wenn du so weitermachst, bist du 2025 für acht Prozent der Emissionen verantwortlich.

 

Zum Hashtag #Flugscham können wir also gleich #Internetscham setzen – ja, wir müssen uns für dich schämen. Besser, schneller, schöner ist an dir leider gar nichts. Du bist dann doch nur ein virtueller Spiegel unserer analogen Welt, mit all ihren Unzulänglichkeiten und all ihrem Schmutz. Bleib also nicht, wie du bist. Noch bist du jung, mach was draus.


Mops verpfändet, Geld verloren, Moral begraben

Mopsdame Edda ist jetzt ein Fall für die Staatsanwaltschaft. Sie haben noch nie von ihr gehört? Verwunderlich, denn Edda vom Cappenbergersee, so ihr voller Name, beschäftigt die Medien von der Bild bis zur New York Times schon seit Monaten. Die Hündin wechselte ihre Familie auf etwas ungewöhnliche Weise: Ihre Besitzer, eine fünfköpfige Familie aus dem nordrhein-westfälischen Ahlen, hatten rund 7.000 Euro Schulden bei der Stadt angehäuft, unter anderem wegen nicht gezahlter Hundesteuer. Auf der Suche nach pfändbaren Gegenständen identifizierten die Vollziehungsbeamten Edda als das wertvollste Besitztum und sackten die Mopsdame ein (unbestätigten Gerüchten zufolge hatten sie zunächst den Rollstuhl des querschnittsgelähmten Vaters in Erwägung gezogen). Anschließend verkaufte die Stadt die Hündin für 690 Euro auf der Versteigerungsplattform Ebay, „Verwertung“ nannte der Bürgermeister das später.

 

Hier endet die Geschichte nicht: Die höchstbietende Michaela Jordan, die Edda in Wilma umbenannte, fühlt sich von der Stadt betrogen. Die habe ihr wissentlich einen kranken Hund angedreht. Jetzt klagt die Mopsbesitzerin die Tierarztkosten in Höhe von rund 2.000 Euro ein. Ein eilends von der Stadt in Auftrag gegebenes Gutachten bestätigte, dass die Pfändung und der Verkauf rechtens gewesen seien. „Das ist enttäuschend für das Rechtsgefühl jedes redlich denkenden Bürgers“, kommentierte Jordans Anwalt. Zwischen Gefühl und Recht muss nun die Staatsanwaltschaft Münster unterscheiden.

 

Bislang hat sich offenkundig noch niemand die Mühe gemacht, zwischen einem Lebewesen und einem Gegenstand zu unterscheiden. Die Klägerin beschwert sich über die von ihr erworbene Katze im Sack, als ginge es um ein kaputtes Fahrrad. Dabei darf man Edda, respektive Wilma, durchaus Empfindungen unterstellen, vermutlich auch ihre bevorzugten Rudelmitglieder und den Wohnort betreffend. Gemeinhin werden Hunde doch sonst eher als feste Familienmitglieder gepriesen denn als geldwertes Ding. Eine Aktivistin der Tierschutzorganisation Vier Pfoten ließ sich deswegen zu dem Vergleich hinreißen, ein Haustier zu verpfänden sei, wie den Großvater auf Ebay zu versteigern.

 

Dass ein Mops hohe Tierarztkosten verursacht, ist übrigens keine große Überraschung, denn so schamlos wie nun über seinen Wert gestritten wird, so schamlos wurde er nahe an die Lebensunfähigkeit gezüchtet. Platte Schnauze, Glubschaugen und Knautschfalten machen ihm das Leben schwer – lassen ihn auf den Fotos in den Verkaufsanzeigen aber gewinnbringend niedlich aussehen.


Filmreif geht die Welt zugrunde: Greta in „Climate Fighter I“

Da ist dieses 16-jährige Mädchen mit den langen geflochtenen Zöpfen und dem Asperger-Syndrom, Greta Thunberg. Jeden Freitag trotzt sie Wind und Wetter vor dem schwedischen Parlament, in den Händen das handgeschriebene Schild „Skolstrejk för Klimatet“. Anfangs ist sie ganz allein und gibt für ihren wöchentlichen Streik sogar ihre Hobbys auf. Theater, singen, tanzen, musizieren, reiten, das geht jetzt alles nicht mehr, für das höhere Wohl. Sie sagt, sie gehe erst wieder freitags zur Schule, wenn ihre Regierung das 1,5-Grad-Ziel einhalte. So lange müssten die von ihr herausgeforderten Politiker mit der Gewissheit klarkommen, dass Greta ihretwegen den Unterricht verpasst.

 

Jetzt sind Gretas schulische und freizeitliche Versäumnisse, gemessen an der Weltpolitik, ungefähr gleichbedeutend mit dem berühmten Sack Reis, der irgendwo in China umfällt, oder eben nicht. Trotzdem weiß die ganze Welt von ihr, die Medien von Großbritannien bis Australien berichten, dass sie lieber Zug fährt, statt zu fliegen, dass ihr Vater natürlich gegen den Streik seiner Tochter sein müsse

– außer in den Ferien – und dass es sie mit Hoffnung erfülle, dass nun so viele Kinder ihrem Beispiel folgen.

 

Wir Journalisten lieben sie, weil sie alles hat, was eine gute Geschichte braucht: die drohende globale Katastrophe, die blinde Masse und die kleine Heldin. Sie ist David gegen Goliath, Momo gegen die grauen Herren, Pippi Langstrumpf gegen das System. Sie darf zur Klimakonferenz und zum Weltwirtschaftsforum, um zwischen all den Anzug- und Kostümträgern für die Zukunft ihrer Generation zu kämpfen. Da steht sie dann, klein und unschuldig, und wirft den alten Damen und Herren vor, sich aufzuführen wie kleine Kinder. Wie zum Beweis behauptete Joke Schauvliege, Flanderns Umweltministerin, der belgische Geheimdienst habe Informationen, dass es sich bei den Schulstreiks um eine Verschwörung gegen sie handele, und musste zurücktreten. Das hätte sich doch auch Hollywood nicht besser ausdenken können.

 

Das Problem dabei: Wir verlieren uns in der Geschichte. Wir erliegen der Verlockung, zu glauben, dass sie wie jeder Hollywood-Streifen ein Happy End haben wird, bei dem die Kinder triumphierend auf den Konferenztischen der Erwachsenen tanzen. Und draußen scheint die Sonne genau so viel, dass sich das Weltklima um 1,5 Grad erwärmt, und nicht mehr.

 

Wir sollten uns der Klimakrise zuwenden, statt denen, die auf sie aufmerksammachen. Denn, um es mit Greta Thunbergs eigenen Worten zu sagen: „Wir wiederholen nur, was die Wissenschaftler sagen.“


Über den Ausstieg aus der Kohle spricht man nicht hungrig

Klar, jeder kennt das. Wenn man ein unangenehmes Gespräch führen muss, redet man am liebsten erst mal über irgendwas anderes. So lange wie möglich. Zum Beispiel mit dem Chef über Hosenfarben, die aktuelle Nachrichtenlage oder den Milchdienst für den Kaffeeautomaten, bis man schließlich sehr spät – und von dem bis dahin geführten Ablenkungsgespräch reichlich ermattet – zum eigenen Thema kommt: zur Arbeitszeit, zum Beispiel. Die Kohlekommission wollte bei ihrer Tagung am vergangenen Freitag über den Klimaschutz sprechen. Eigentlich. Sie ahnen, wohin das Gedankenspiel führt.

 

Sieben Monate lang diskutierten die Mitglieder alles Mögliche, vielleicht sogar Hosenfarben, aber nicht über das Klima. Sie machten Ausflüge, etwa in strukturschwache und von der Braunkohle abhängige Regionen in der Lausitz, um zu erkennen: Mensch, die werden aber unsere Hilfe brauchen, wenn wir denen eines Tages die Kraftwerke abdrehen. Sie stritten darüber, wie viele Strompreiserleichterungen die Industrie bekommen soll, wenn die Kohlekraft wegfällt, und sie sprachen darüber, wie „wünschenswert“ es wäre, dass der durch hartnäckige Proteste berühmt gewordene Hambacher Forst bleiben darf. Aber bis zur letzten Verhandlungsnacht am Freitag sprach niemand in der Kommission darüber, wann wie viel Kohlekraft abgeschaltet wird – also über das Einzige, was für den Klimaschutz relevant ist. Die Kohlekommission redete folglich satte sieben Monate lang über den Kohleausstieg, ohne über den Ausstieg zu reden.

 

Das fanden selbst einige der Kommissionsteilnehmenden absurd. Am letzten Verhandlungsabend, es war schon dunkel, hüstelte der metaphorische Elefant im Raum dann inmitten einer Vielzahl „kritischer Punkte“ erstmals in die Runde. Damit sich nicht alle mit dem Giganten rumschlagen mussten, schlug Sitzungsleiter Ronald Pofalla Gruppenarbeit vor. Und dann gab’s erst mal Pizza für alle – also alle, die schnell genug waren, Alpha-Tiere teilen nicht gerne. Vielleicht lagen die Kartons mit den abgenagten Rändern dann noch auf den Konferenztischen, es ging auf zehn Uhr, im großen Saal lief stumm das Halbfinale der Handball- Weltmeisterschaft zwischen Deutschland und Norwegen, als sich eine kleine Gruppe endlich des Elefanten annahm.

 

Vielleicht waren die einen dann noch angefressen, weil sie keine Pizza abbekommen hatten, und die anderen wollten lieber das Spiel im Nebenraum sehen, sicher aber waren alle müde von den bis dahin schon rund 14 Stunden Verhandlungen. Man kann also sagen: Es war nicht ganz die perfekte Ausgangslage, die man sich für die Verhandlung der wichtigsten Maßnahme zur Einhaltung des deutschen Klimaziels wünschen würde. Man kann auch davon ausgehen, dass die Lage nicht besser wurde, je weiter die Diskussionen in die Nacht hineinreichten. In den frühen Morgenstunden sinkt der menschliche Körper bekanntlich auf sein Leistungstief. Er schüttet dann jede Menge Melatonin aus, was im Schlaf für Entspannung sorgt, im wachen Zustand hingegen für schlechte Laune.

 

In ebendiesem Tief entschied die Kohlekommission den Ausstieg. Weil nach den Plänen der Übermüdeten bis 2022 schon Kohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von rund 12,5 Gigawatt runtergefahren werden sollen, müsste man meinen: Das Klimaziel

ist eventuell schaffbar. Für den Zeitraum danach gibt es aber keine konkreten Zahlen, da ging den Kommissionsteilnehmern offenbar die Puste aus. Und dass die letzten Meiler dann noch bis 2038 weiterlaufen dürfen, ist katastrophal. Da hülfe es auch nicht, das eine UN-Klimaziel acht Jahre zuvor eventuell erreicht zu haben. Dieses maue Ergebnis sieht leider auch am nächsten Morgen, mit weniger Melatonin, nicht besser aus.


O Tannenbaum – wie tot sind deine Blätter

Hallo, hier spricht Ihr Weihnachtsbaum. Ja richtig, der leuchtende bunte Fremdkörper in Ihrem Wohnzimmer. Sorry, dass ich hier alles voll nadele, aber so ist das im Sterbeprozess: Man stirbt. Bald müssen Sie sich das Elend ja nicht mehr mit ansehen, dann werden Sie mir den ganzen Klimbim wieder aus den Ästen friemeln und mich auf die Straße werfen, wo mich dann jemand von den Stadtwerken einsammeln wird. Sagt Ihnen der Ausdruck ‚thermische Verwertung‘ was? Das heißt verbrennen, ich werde verbrennen, entweder in der Müllverbrennungsanlage oder auf dem Osterfeuer. Mein Schicksal: Krematorium oder Scheiterhaufen.

 

Mal ganz uneigennützig gefragt: Haben Sie jemals darüber nachgedacht, was für eine Verschwendung an Leben das ist? Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wie lange ich gebraucht habe, um so groß zu werden (toll übrigens, dass Sie mir zuallererst mal meine Spitze abgeschnitten und sie durch diesen sagenhaft hässlichen Stern ersetzt haben)? Oder wo ich herkomme? Bäumen unterstellt man jetzt nicht unbedingt, weit gereist zu sein, aber bei mir ist das anders: Wie die allermeisten anderen Nordmanntannen in all den anderen deutschen Wohnzimmern begann mein Leben als Zapfen auf einer sehr großen Tanne in Georgien. Eine arme Sau pflückte mich da ohne Sicherung und mies entlohnt runter, mit dem Flugzeug ging es dann nach Dänemark, wo wir auf riesigen Plantagen eingepflanzt wurden. Ich wäre wohl krummer und nicht so leuchtend grün gewachsen, hätte ich nicht so viel Dünger, Insekten- und Unkrautvernichtungsmittel bekommen. Aber man gewöhnt sich dran, immer ein bisschen dizzy, ein großer kollektiver Tannenrausch.

 

Tja, und nach zehn Jahren dann: zack, vorbei, mit zwei Millionen anderen auf die Laster, vor die Baumärkte und neben die Pommesbuden, in diese furchtbaren Netze, Kofferräume und nach einigem Gefummel dank Baumständern dann wieder aufrecht stehend, jeder für sich in seiner eigenen Weihnachtsvorhölle. Ja, jetzt finden Sie, ich übertreibe, war doch eigentlich ganz nett mit den Lichterketten, den Geschenken, mit der Gans und Kevin – Allein zu Haus, aber Sie sind dabei auch nicht gestorben!

 

Eine Frage hätte ich noch an Sie: Ist es wirklich nötig, mir in O Tannenbaum mit der ganzen Familie vorzusingen, „die Hoffnung und Beständigkeit gibt Trost und Kraft zu jeder Zeit“? Das ist doch Zynismus pur, also echt.


Amazon sei Dank: Das eigene Ende jetzt live miterleben

Dieser Freitag ist ein schwarzer Tag. Diesen Freitag wird die Menschheit einmal mehr unter Beweis stellen, wie herrlich sinnbefreit sie Standmixer, Flachbildschirme, Katzenpullover und Kondom-Vorratsgläser zu kaufen bereit ist, wenn nur der Hinweis „Sonderangebot“ daran haftet. Am 23. November ist Black Friday – der rabattgeköderte Startschuss für den Weihnachtskonsum. Weil man an mehr Tagen ja noch mehr konsumieren kann, macht Amazon daraus gleich die Cyber-Monday-Woche. Eine Woche nach einem Tag zu benennen, ist so stringent sinnlos wie die ganze Aktion an sich.

 

Das Datum des Kaufrauschs könnte zynischer nicht gewählt sein, denn genau zur selben Zeit treffen sich die Vertreter von mehr als 190 Staaten im ägyptischen Sharm asch-Schaich, um den Fortbestand der menschlichen Spezies zu verhandeln. Eigentlich geht es bei der Konferenz um den Erhalt der biologischen Vielfalt – und klar, wer das bei seiner Online-Schnäppchenjagd kurz in dem Newsticker liest, der für quälend lange Sekunden das Einkaufswagen-Symbol oben rechts in der Ecke überlagert, der könnte denken: Ach ja, ein paar Käfer mehr oder weniger sind doch eigentlich auch egal. Dass das nicht so egal ist, machte Cristiana Paşca Palmer, Exekutivsekretärin der UN-Biodiversitätskonvention, jüngst deutlich: Wenn uns nicht bald was einfällt, könnte die Menschheit die erste Spezies sein, die ihr eigenes Aussterben dokumentiert, warnte sie.

 

Seit die Menschen die Welt plündern, als gäbe es da draußen noch ein paar mehr Welten, ist so viel Leben von ihr gewichen wie seit dem Aussterben der Dinosaurier nicht mehr. Der Verlust der Saurier gilt als fünftes Massensterben der Weltgeschichte, viele Experten sind davon überzeugt, dass das sechste Massensterben bereits in vollem Gange ist. Es wäre das erste, das von Lebewesen ausgelöst wurde. Die Gründe für die „biologische Ausradierung“, wie sie einige Forscher nennen, sind simpel: Wir sind zu viele und wir verbrauchen zu viel, vor allem die Reichsten von uns.

 

Klingt alles ganz schön  finster, aber sehen Sie es doch mal so: Wenn Sie nun an diesen schwarzen Freitagen und cybermäßigen Montagen den nächsten schrankwandgroßen Flachbildfernseher kaufen (klar, zum Schnäppchenpreis!), dann haben Sie zwar zu Ihrer eigenen Ausrottung beigetragen, aber Sie können sich fortan in Wahnsinns-4K-Bildqualität dabei zuschauen, vielleicht gibt’s ja ’ne gute Doku darüber!


Subventionierung des Klimawandels? Hört auf damit

Der Weltklimarat neigt nicht zum Alarmismus. Er ist ein internationaler Zusammenschluss von Wissenschaftlern, die sich über jedes Komma mühsam mit Experten und Regierungen abstimmen müssen. Die so errungenen Aussagen versehen sie in ihren Berichten noch mit Hinweisen in Klammern, wie vertrauenswürdig diese sind – sehr gering bis sehr hoch. Wenn dieser Weltklimarat nun warnt, es seien „beispiellose“ Veränderungen nötig, um die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken, ansonsten drohten der Welt „beispiellose“ Veränderungen, dann sollte uns das beispiellose Sorgen machen. Damit wir uns das besser vorstellen können, reichten die Forscher zu ihrem 1,5-Grad-Sonderbericht anschauliche Beispiele: Wir laufen Gefahr, 99 Prozent der Korallenriffe zu verlieren (übersetzt: alle), der Meeresspiegel wird stark steigen (übersetzt: Tschüss, Fidschi) und die Arktis wird immer häufiger vollkommen auftauen (übersetzt: Tschüss, Walross, tschüss, Eisbär).

 

Der zwingend beispiellose Wandel etwa im Energie- und Verkehrssektor aber versackt in Kompromissen um Grenzwerte und Ausstiegsdaten, der Grund: Wirtschaftlichkeit. Das ist genauso beispiellos kurzsichtig wie falsch, denn fossile Energieträger

sind nur wirtschaftlich, weil sie massiv subventioniert werden. Laut einer

von Greenpeace beauftragten Studie tut Deutschland das mit 46 Milliarden Euro pro Jahr, der Internationale Währungsfonds spricht sogar von 55 Milliarden. Dazu gehören auch finanzielle Vorteile wie die Steuervergünstigung für Diesel oder das steuerfreie Kerosin für Fluggesellschaften, Erleichterungen, die nicht nur im offiziellen Subventionsbericht fehlen, sondern auch den erwünschten umweltpolitischen Effekt ebenjener Steuern zunichtemachen.

 

Dass solche Subventionen klimaschädliche Systeme künstlich am Leben halten, räumten die G20-Staaten schon 2009 ein und gelobten, sie abzubauen. Das ist jetzt neun Jahre her. Man könnte sagen, es hat nicht ganz geklappt. Einzig die deutschen Absatzbeihilfen für Steinkohle laufen dieses Jahr aus. Die hat der Bund bis zuletzt in Milliardenhöhe gefördert, denn wirtschaftlich war es schon lange nicht mehr, das Gestein in mehr als 1.000 Meter Tiefe aus dem Boden zu brechen. Würden die G20- Staaten endlich auch die anderen ineffizienten Subventionen des fossilen Zeitalters abbauen, hätten Walross und Fidschi eine ungleich größere Chance, der Welt noch eine Weile erhalten zu bleiben (sehr hohes Vertrauen).

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