Single bleiben für das Klima? Nein. Make love, not CO2!

Teile Deutschlands und Chinas werden überflutet, Nordamerika ächzt unter extremer Hitze, Waldbrände wüten dort, auch in Sibirien und Südeuropa, den Olympioniken in Japan droht der Hitzschlag und der britische Wetterdienst gibt zum ersten Mal in seiner Geschichte eine Hitzewellen-Warnung raus. So sieht der Klimawandel aus – nur ein Vorgeschmack auf das, was uns noch bevorsteht.

 

Eine Studie aus Schweden fand nun heraus: Männer tragen an all dem ein bisschen mehr Schuld als Frauen. Die Forschenden vergleichen das Verhalten von Single-Männern und Single-Frauen – sie finden die größten Unterschiede beim Autofahren mit Verbrennungsmotoren und beim Fleischessen. Weil Männer das – ganz ihrem Stereotyp entsprechend – mehr machen, heizen sie das Klima um genau 16 Prozent mehr an. Um konstruktiv zu sein, rechnen die Forschenden auch noch vor, dass beide Geschlechter ihren CO2-Fußabdruck um ganze 40 Prozent reduzieren könnten, wenn sie auf eine vegane Ernährung umstellten und statt mit dem Flug- zeug oder Auto mit dem Zug in den Urlaub führen.

 

Was sie unter den Tisch fallen lassen: Für das Klima wäre es außerdem am besten, wenn sie Singles blieben – oder zumindest keine Familie gründeten. Denn der größte Einfluss, den ein Mensch auf seine Treibhausgasemissionen nehmen kann, ist, weniger Kinder zu bekommen. Das fand eine ebenfalls schwedische Studie schon 2017 heraus. Die Forschenden kritisierten damals, dass die meisten Regierungen diese hochwirksame Maßnahme kaum erwähnten, sondern lieber auf Recycling oder Energiesparlampen verwiesen – uns allen dürfte mittlerweile dämmern, dass wir damit das Ruder nicht mehr herumreißen können. Weniger Kinder zu bekommen sei natürlich eine zutiefst persönliche Entscheidung, räumten die Forschenden ein, aber: „Es ist unsere Aufgabe als Wissenschaftler, die Daten ehrlich zu berichten.“

 

Okay, wenn wir schon dabei sind, die Daten ehrlich zu berichten, dann müssen wir hier fairerweise auch mal sagen: Wir und unsere Kinder sind nicht das Klimaproblem, sondern die fossile Industrie. Die 100 größten Hersteller fossiler Brennstoffe sind für 70 Prozent der Treibhausgase in der Atmosphäre verantwortlich, das belegt ein Report, ebenfalls aus dem Jahr 2017. Es kommt noch viel besser, denn das sind genau jene Kohle-, Öl- und Gaskonzerne, die uns einreden wollen, wir seien das Problem. Wissen Sie, woher der Begriff „CO2-Fußabdruck“ kommt? Er stammt aus einer Werbekampagne von British Petroleum (BP) aus dem Jahr 2000.

 

Vier Jahre später brachte BP seinen CO2- Fußabdruck-Rechner raus – mit großem Erfolg: Mittlerweile umarmen Medien und Umweltorganisationen das Konzept, als wäre es ihr eigenes. Einige nennen das „gelungene Propaganda“. Natürlich ist es grundsätzlich nicht schlecht, sich selbst zu analysieren und einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Nur in einem System, das größtenteils durch fossile Energieträger befeuert wird, ist der Spielraum dafür eben sehr klein. Das zeigten Forschende des Massachusetts Institute of Technology eindrücklich, als sie den CO2-Fußabdruck einer fiktiven obdachlosen Person in den USA berechneten, die in Suppenküchen aß und in Obdachlosenheimen schlief: Er lag immer noch bei 8,5 Tonnen im Jahr. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Durchschnitt bei 10,4 Tonnen, bis 2050 muss er runter auf zwei Tonnen, wenn wir eine starke globale Erwähnung vermeiden wollen.

 

Ihr „Fußbadruck“ wird darüber nicht entscheiden, sondern die (Un)Vernunft der fossilen Industrie. Mit anderen Worten: Bekommen Sie ruhig Kinder, wenn Sie wollen. Oder mit noch anderen Worten: Make love, not CO2.


Tanzt mit mir den heißen Klima-Cha-Cha-Cha!

Es ist doch eine ziemlich eigenartige Choreografie, bei der man Wissenschaft, Politik und Industrie in Endlosschleife zuschauen kann. Die Wissenschaft verkündet besorgniserregende Erkenntnisse, die Politik reagiert viel zu spät mit viel zu kleinen Maßnahmen und die Industrie beschwert sich dann trotzdem darüber. Also muss die Wissenschaft noch mehr besorgniserregende Erkenntnisse verkünden, und so geht das munter immer weiter. Die verlässliche Abfolge ist, wenn man so will, ein sauber einstudierter Cha-Cha-Cha. Cha – warnen, Cha – dösen, Cha – maulen.


Gerade ließ sich das wieder schön am Beispiel Klima beobachten. Zuerst schockt der Weltklimarat: Erwärmt sich das Weltklima um zwei Grad, werden 420 Millionen Menschen zusätzlich dem Risiko von Hitzewellen ausgesetzt. Bis zum Jahr 2050 laufen zudem acht bis achtzig Millionen Menschen zusätzlich Gefahr, Hunger zu leiden – abhängig davon, wie hoch die Treibhausgasemissionen sein werden. Selbst wenn die sinken sollten, werden der Zusammenbruch ganzer Ökosysteme, Wasser- und Nahrungsknappheit und die Verbreitung von Krankheiten immer schneller zunehmen. Was die Forschenden auch noch schreiben: Die Erde kann sich von all dem erholen, die Menschen nicht. Jeder „Bruchteil eines Grads Erwärmung“ zähle nun, um das Schlimmste abzuwenden. Cha!

 

Kurz darauf beschließt die deutsche Bundesregierung – gezwungen durch das Bundesverfassungsgericht – ihr neues Klimaschutzgesetz: Klimaneutralität schon 2045 statt erst 2050, bis 2030 soll der CO2-Ausstoß im Vergleich zu 1990 um 65 Prozent statt um 55 Prozent sinken. Und alle Sektoren bekommen verbindliche Ziele, die gab es bislang nur bis 2030. Die ehemalige Umweltministerin Barbara Hendricks schwelgt in Erinnerungen an den Beschluss des Pariser Klimaabkommens 2015 und lässt sich zu dem Satz hinreißen: „Wir haben Geschichte geschrieben, und daraus machen wir Zukunft.“


Warum nennt Klimaforscher Mojib Latif es dann trotzdem ein „Larifari-Gesetz“? Weil die dafür notwendigen Veränderungen gewaltig wären, die tatsächlich beschlossenen aber winzig sind. Der Kohleausstieg müsste dafür bis 2030 über die Bühne gehen, ist aber erst für 2038 geplant. Die erneuerbaren Energien müssten viel schneller ausgebaut werden als nun beschlossen. Der CO2-Preis für Verkehr und Gebäude müsste bei 100 Euro liegen, liegt aber derzeit nur bei einem Viertel davon. Bis 2026 soll er auch nur auf 55 bis 65 Euro klettern. Ein Enddatum für den Verbrennungsmotor gibt es nicht. Die Industrie träumt zwar vom „grünen“ Wasserstoff, aber niemand weiß, wo der herkommen soll. Und die Tierbestände müssten für ein Erreichen der Klimaziele ebenfalls schrumpfen, aber darüber wollte die Regierung nicht einmal diskutieren. Cha!

 

Die Industrie fängt trotzdem schon mal an zu maulen: „Ausufernde Regulierung und eine Verbotskultur“ seien mit der sozialen Marktwirtschaft nicht vereinbar, kritisiert Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Ihm geht das alles zu schnell; er möchte, wenn schon, dass nun schleunigst öffentliches Geld in die Infrastruktur fließt. Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, findet das Gesetz übereilt, fordert mehr Geld vom Bundesumweltministerium und eine Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit. Cha!


Der Weltklimarat hat sich 1988 gegründet, 1990 veröffentlichte er seinen ersten Sachstandsbericht. Schon damals mahnte er: Wolle man einen Temperaturanstieg vermeiden, müssten die Emissionen umgehend um sechzig Prozent gesenkt werden. „Die Zeitbombe tickt“, sagte damals der britische Meeresbiologe und Leitautor John Woods. Das ist jetzt mehr als dreißig Jahre her. Und zwo, drei, Cha-Cha-Cha!


Amazon vermüllt die Welt – und alle machen mit

Amazon ist immer für einen Skandal gut, diesmal für den gleichen zum zweiten Mal in Folge: Nachdem Greenpeace schon 2019 aufgedeckt hatte, dass der Online-Händler systematisch Neuwaren zerstört, die zu lange im Regal liegen, war die Empörung groß. „Das ist etwas, dem ich jetzt endlich einen Riegel vorschieben will“, tönte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) damals großspurig und präsentierte im darauffolgenden Jahr ein Gesetz zur sogenannten „Obhutspflicht“, das der Verschrottung einen Riegel vorschieben sollte.
 
Gut, bislang wird das Gesetz mangels konkreter Rechtsverordnungen gar nicht umgesetzt, und die sind auch nicht in Sicht. Denn dafür müsste man erst mal wissen, wie viele Waren überhaupt vernichtet werden, und das verrät Amazon natürlich nicht, deswegen müssten Unternehmen zunächst mal zur Transparenz verpflichtet werden ... Tja, also in dieser Legislaturperiode wird das jedenfalls nichts mehr, gibt denn auch das Bundesumweltministerium zu.


Und so lange verschrottet Amazon seine Ladenhüter fröhlich weiter,
wie Greenpeace nun noch mal mit einem anonym eingeschleusten Rechercheur dokumentierte. Ja, sapperlot! Auf den heimlich gefilmten Videoaufnahmen sind einige der Kleidungsstücke und Spielzeuge zu sehen, die der Konzern zum Verschrotten aussortiert. Und beim Betrachten dieser Bilder drängt sich der Eindruck auf, dass ein Großteil dieser Sachen nicht erst zu Schrott gemacht wird, sondern das schon immer war: billige Polyesterhemdchen, denen man die elektrischen Schläge ansieht, die sie bei Berührung austeilen würden; giftbunte Kuscheltiere – Ramsch. So gesehen kürzt Amazon da nur ein bisschen ab: Würde der Händler die Sachen nicht sofort in den Müll werfen, dann würden das eben die Käufer kurze Zeit später machen.


Das finden Sie zynisch? Auf eine Greenpeace-Umfrage vor einigen Jahren antwortete fast die Hälfte der Befragten, Schuhe, Oberteile und Hosen schon nach weniger als einem Jahr auszusortieren. Und dann kaufen sie wieder neue – seit Beginn der Pandemie noch lieber bei Amazon. Der US-Konzern surft die Wellen (Achtung: Doppeldeutigkeit!) mit Vergnügen und will in Deutschland 5.000 neue Jobs schaffen, vergangenen November nahm er am Flughafen Leipzig-Halle sein erstes regionales Luftfrachtzentrum Europas in Betrieb.


Und so arbeiten wir alle gemeinsam, Hand in Hand, an der Vermüllung der Welt, verpackt in Luftpolsterfolie und Pappkartons – aber mit einem Lächeln, in der Form des Amazon-Pfeils.


Was lernen wir aus der Pandemie? Nichts!

Wir Menschen sind sinnsuchende Wesen, und so verwundert es nicht, dass wir auch bei einer globalen Pandemie verzweifelt nach dem positiven Dreh fahnden. Wie schön wäre das, wenn das grassierende Virus SARS-CoV-2 nicht einfach nur unser aller Leben anhielte und mehr als drei Millionen davon beendete, sondern wenn es auch für irgendwas gut wäre, oder? Wie wir den Ausnahmezustand anfangs romantisierten: Mutter Erde gibt uns zu verstehen, dass sie mal eine Pause braucht; die Menschheit wird daraus lernen und danach endlich alles besser machen; schau, die Delfine kehren sogar nach Venedig zurück – und mit heruntergefahrener Wirtschaft und eingeschränktem Flugverkehr bremsen wir immerhin den Klimawandel!
 
Falls Sie sich an einer dieser Ideen festgehalten haben, dann muss ich Ihnen nun mitteilen: leider alles Quatsch. Die Delfine in Venedig wurden in Wahrheit auf Sardinien gefilmt, das Klima hat sich nicht erholt, und es scheint auch niemand vorzuhaben, aus dem Ganzen irgendwas zu lernen. Moment mal, mögen Sie jetzt denken, aber hat die Europäische Union ihr Klimaziel für 2030 nicht gerade um 15 Prozent angezogen? Und hat nicht auch Hoffnungsträger Joe Biden am Earth Day international für mehr Klimaschutz geworben und sich im Namen der USA zu ambitionierten Emissionsreduktionen verpflichtet? Und hat Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem von ihm einberufenen Klimagipfel nicht folgende Worte gesagt: „Wir wollen die notwendige wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Pandemie auch für innovatives Wachstum nutzen, und das gerade im Bereich des Klimas“?


Alles richtig, leider verkündete aber gleichzeitig die Weltwetterorganisation: 2020 war eines der drei wärmsten je aufgezeichneten Jahre – 1,2 Grad über dem vorindustriellen Niveau. Auch die CO2-Emissionen stiegen fröhlich weiter, und, halten Sie sich fest, wir peilen Rekorde an! Laut der Internationalen Energieagentur werden wir dieses Jahr voraussichtlich den zweitgrößten CO2-Emissionsanstieg der Geschichte verzeichnen, nur noch getoppt von dem massiven Aufschwung vor zehn Jahren nach der Finanzkrise. Schuld daran ist der Kohlestrom, mit dessen Hilfe nun alle die Wirtschaft ankurbeln wollen – obwohl erneuerbare Energieträger längst günstiger wären. „In Deutschland ist Kohle heute noch ein wichtiger Energieträger“, sagte Merkel dann auch in ihrer Rede.


Vielleicht ist der Sinn der Pandemie also, uns zu zeigen, dass wir lernunfähig sind, selbst wenn die Lektion denkbar einfach ist. Schade eigentlich.


Der Suezkanal war dicht – denken wir endlich lokal

Es ist eine Meldung der Superlative: Eines der größten Containerschiffe der Welt verstopft eine der wichtigsten Wasserstraßen der Welt. Die 400 Meter lange „Ever Given“ hat sich im Suezkanal verkantet. Solange sie feststeckt, tut das mit ihr auch die ganze globalisierte Welt. Denn durch den teils nur einspurigen Kanal fahren normalerweise mehr als fünfzig Schiffe pro Tag, rund zwölf Prozent des weltweiten Frachtvolumens wird hier pro Jahr durchgeschleust. Die gigantischen Schiffe transportieren alles, was der asiatische Raum so mit Europa und Amerika handelt, also so gut wie alles, was Sie und ich besitzen und was die Industrie täglich verarbeitet. Zu einem großen Teil ist das Öl. Der Ölpreis schnellte deswegen auch sogleich in die Höhe.

 

Pro Stunde blockierte die „Ever Given“ Waren im Wert von rund 340 Millionen Euro: Auf viele von ihnen kann die hiesige Industrie eigentlich keinen Tag warten, weil sie direkt nach der Ankunft verarbeitet werden sollten: Just-in-time-Produktion nennt sich dieses Verfahren, mit dem die Produzenten Lagerkosten sparen. Und auch wenn die „Ever Given“ endlich wieder flott ist, werden die Schiffe mit dem ganzen heiß begehrten Zeug an Bord sich noch quälend lange stauen und die Zeitpläne von Häfen und Flotten durcheinanderbringen. Obrendrein verzögert sich der Rücktransport der ohnehin schon knappen leeren Container nach Asien, was zu weiteren Engpässen führen könnte. Das erste Schiff, das angesichts des Superstaus den 3.000 Seemeilen langen Umweg um das Kap der Guten Hoffnung einschlug, war ausgerechnet das Schwesterschiff der „Ever Given“ mit dem bezeichnenden Namen „Ever Greet“ – Tschüss, ihr Trottel, wir grüßen euch!

 

Am frühen Montagmorgen kam die Nachricht, es sei gelungen, die „Ever Given“ wieder in einen schwimmenden Zustand zu versetzen; geholfen hätten neben mehreren Schlepperbooten auch der Vollmond und die Flut.

 

Man kann die absurde Havarie nun zum Anlass nehmen, sich zu fragen, ob es so schlau ist, Wohl und Wehe der Weltwirtschaft von einem dünnen Rinnsal in der ägyptischen Wüste abhängig zu machen. Ob es nicht schlauer wäre, statt tankerweise Zeug und Öl um die halbe Welt zu schippern, lokale Produkte zu fördern, erneuerbare Energien auszubauen – und damit wenigstens zu versuchen, die Klimaziele einzuhalten. Oder man kann sich über die Route der „Ever Given“ kurz vor ihrem Malheur lustig machen: Der Kapitän schrieb, während er auf die Einfahrt in den Kanal wartete, mithilfe seines Riesenfrachters die Form eines Penis mit Hodensäcken ins Wasser. Zugegeben: Das ist lustiger.


Ist jetzt Milch in der Milchstraße oder nicht?

Wir alle haben sie schon gehört, die Schreie der Verzweiflung. Sie hallen durch die Gänge der Supermärkte, ausgestoßen in der Nähe der Kühlregale. Sie stammen aus den Kehlen verlorener Menschen, die gänzlich verwirrt vor dem Milchsortiment stehen, weil sie unfähig sind, den Unterschied zwischen Kuhmilch und pflanzlicher Milch auszumachen. Ja, vielleicht zählten Sie selbst auch schon zu den Opfern des irreführenden Pflanzenmilchmarketings und verbrachten zähe Stunden mit dem vergeblichen Versuch, das richtige Produkt aus dem Regal zu wählen. Doch ich kann Ihnen verkünden: Rettung naht.

 

Denn die Europäische Union ist gerade dabei, ihre „Gemeinsame Agrarpolitik“ zu überarbeiten. Aus diesem Grund wird sie im März über den Änderungsantrag 171 abstimmen, der der Verwirrung in europäischen Supermarktregalen endlich ein Ende setzen soll. Gut, schon jetzt sind Begriffe wie „Milch“, „Käse“ oder „Joghurt“ einzig Produkten tierischen Ursprungs vorbehalten. Das heißt „Soja“, „Mandel“ oder der gerade boomende „Hafer“ dürfen nicht mit dem Wort „Milch“ kombiniert werden.

Deswegen steht auf den Verpackungen „Drink“, „Smelk“, „M*lk“ oder bloß „Hafer“ – in solchen Fällen vertrauen die Hersteller darauf, dass die Verpackung im Tetra Pak Indiz genug dafür sei, welcher Art der Inhalt ist. Immer noch viel zu irreführend,  finden Interessenvertreter wie der Deutsche Bauernverband, der „ehrliche“ Produktnamen fordert. Also gar kein Bezug mehr zu Milch, auch nicht als Verneinung. Denn wenn da steht: „enthält keine Milch“ oder „Alternative zu Milch“, dann versteht man ja gar nichts mehr. Wie jetzt, Milch oder keine Milch? Es sollte auch nicht mit „sahniger Konsistenz“ geworben oder der ökologische Fußabdruck von Milch und pflanzlichen Getränken verglichen werden. Am besten sollte auch die ganze Verpackung anders aussehen, blickt ja kein Mensch durch sonst.

 

Das Europäische Parlament stimmte dem Änderungsantrag bereits zu (demzufolge auch die „Milchnachahmung“, der „Milchersatz“ oder dergleichen verboten sind), lehnte aber gleichzeitig ein Verbot der Bezeichnungen „Burger“, „Steak“ oder „Wurst“ für vegetarische Produkte ab. Nun hängt es an der Kommission und dem Ministerrat. Ich hoffe jetzt einfach, dass diese Zeilen von den Entscheidungsträgern noch rechtzeitig gelesen werden, denn was ist denn bitte mit der Scheuermilch oder Gesichtsmilch – ist da jetzt Milch drin oder nicht? Und Milchglas, Milchzähne, die Milchstraße? Das muss alles unbenannt werden, versteht doch sonst niemand!


Grenzen zu? Aber doch nicht für Tiertransporte!

Haben Sie sich während dieser endlosen Pandemie schon mal bei dem Gedanken ,Ein Glück, dass dieses vermaledeite Virus zuerst in China aufgetaucht ist‘ ertappt? Denn zum einen ist China doch ein einfaches Feindbild, an der Volksrepublik haben wir eh schon allerhand auszusetzen – sei es der ganze Plastikramsch, die Unterdrückung von Tibetern und Uiguren oder das Verbot der freien Meinungsäußerung. Jetzt ist China auch noch an der globalen Pandemie schuld, reiht sich doch ganz schön ein. Zum anderen folgt aus diesem Gedanken, dass es an uns im Westen nicht gelegen hat, dass wir also weitermachen können wie bisher – also, wenn wir wieder raus dürfen, natürlich, denn wir sitzen ja jetzt alle brav drinnen und warten ab.

 

Das stimmt leider nicht so ganz, denn zwar haben wir Menschen das Reisen weitgehend eingestellt, die Tiere aber nicht. Die können da wenig für, denn sie werden von uns losgeschickt, und zwar nicht, um schöne Ausflüge im Ausland zu unternehmen, sondern einfach nur, um woanders zu sterben. Das ist so ein weiterer Auswuchs des globalisierten Kapitalismus: Jedes Land macht das, was es am gewinnbringendsten kann. Manche können besser Tiere aufziehen, und manche können sie eben besser töten. Weltweit exportiert keine Region mehr lebende Tiere als die Europäische Union, wie neue Zahlen der Welternährungsorganisation FAO nun belegen. Im Jahr 2019 überquerten demnach 1,6 Milliarden Tiere die Grenzen eines EU-Landes, die überwältigende Mehrheit davon war Geflügel – und das kam zum größten Teil aus Deutschland.

 

Natürlich denkt nun während der Pandemie niemand daran, damit aufzuhören. Kühe und Schweine, Schafe, Ziegen und Hühner werden weiterhin für viel zu lange Zeit in enge Transporter mit zu wenig Luft und zu wenig Wasser gezwängt. Das führt nicht nur ganz offensichtlich zu großem Leid bei den Tieren, nein, der Stress lässt sie auch schneller krank werden und sich gegenseitig anstecken.

 

Was eine Zoonose ist und wie verheerend es sein kann, wenn Krankheiten von Tieren auf uns Menschen überspringen, dürften wir ja mittlerweile alle gelernt haben. Gerade grassiert unter Geflügel in aller Welt wieder die Vogelgrippe. An dem Virus H5N1 sind in diesem Jahrtausend bereits rund 800 Menschen erkrankt, 60 Prozent davon starben. Nun also – während einer Pandemie! – fröhlich weiter Geflügel durch die Weltgeschichte zu karren, das ist ein bisschen so wie den zweiten Gifttrank zu bestellen, ohne den ersten bis zum Ende ausgetrunken zu haben.


Das CO2-Problem der deutschen Rechenzentren

Rechenzentren sind die fensterlosen Kellerräume, in denen sich unser digitales Leben materialisiert. Jede E-Mail, jede Videokonferenz und jede Online-Zahlung muss durch diese Nicht-Orte durch. Weil wir immer mehr ins Digitale verlagern, brauchen wir auch immer mehr solcher Rechenzentren. Und wer hätte das gedacht, aber Deutschland ist europaweit der größte Standort dafür und der drittgrößte der Welt. Vor allem in Frankfurt am Main wohnt also gewissermaßen ein beträchtlicher Teil des Internets. Das verursacht nicht nur Stolz bei den deutschen Wächtern über die Glasfaserkabel, sondern auch jede Menge Treibhausgasemissionen. Laut einer vom schwedischen Telekommunikationsausrüster Ericsson in Auftrag gegebenen Studie ist die Informations- und Kommunikationstechnologie für 1,4 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich.

 

Aber Deutschland wäre nicht das selbsternannte „Land der Ideen“, wenn es nicht auch für dieses Problem schon eine Lösung gefunden hätte. „Wir haben in Deutschland den Blauen Engel für Rechenzentren auf den Weg gebracht“, rühmte sich Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) kürzlich auf dem Digital-Gipfel der Bundesregierung. Vergeben wird der schon seit 2016 bei reduziertem Energieverbrauch, dem Verzicht auf klimaschädliche Kühlung und gut ausgelasteter Technik. Klingt machbar. Klingt nach etwas, wo das Umweltministerium mit seinen eigenen Rechenzentrum mit gutem Beispiel vorangehen könnte.

 

Das dachte sich auch Anke Domscheit-Berg, die netzpolitische Sprecherin

der Linksfraktion, und fragte nach. Die Antwort: Keines der neun Rechenzentren des Umweltministeriums trägt den Blauen Engel. Überhaupt nur eines

aller 177 Rechenzentren der gesamten Bundesverwaltung tut das, und zwar das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie. Das ist nun doch eine bestürzende Bilanz, zumal die Bundesregierung seit vier Jahren mit einem Budget von mehr als drei Milliarden Euro vergeblich versucht, ihre IT zu modernisieren – so ein Blauer Engel müsste sich da doch im Vorbeigehen mitnehmen lassen. „Dieses Milliardengrab funktioniert einfach nicht“, urteilt Anke Domscheit-Berg.

 

Die Politikerin und ihr Mann Daniel, ehemaliger Wikileaks-Sprecher, haben übrigens ihre ganz eigene Lösung gefunden: Sie haben sich in den Keller ihres Hauses in Brandenburg selbst ein Rechenzentrum gebaut. Na, wäre das nicht was für die nächsten Wochen daheim – Modelleisenbahn raus und Rechenzentrum rein? Auch das ließe sich ja – umweltfreundlich – mit kleinen Filzbäumchen dekorieren.


Grundeln aus der Ostsee essen, das ist echter Klimaschutz

Diese Woche jährt sich das Pariser Klima-Abkommen zum fünften Mal. Sie erinnern sich? Nach elendig langen Verhandlungen hatten sich die Delegierten auf der 21. Klimakonferenz 2015 endlich geeinigt und sich sogleich frohlockend, ja weinend in den Armen gelegen. Was damals als „historischer Schritt“ gefeiert wurde, könnte man heute einen „Rohrkrepierer“ nennen. Denn kaum eine der entscheidenden Nationen hat sich bislang an die Klimaziele gehalten, die USA sind sogar wieder ausgetreten.


Das hat nichts mit Ihnen zu tun, weil Sie in einem wohlhabenden Land mit angenehm gemäßigtem mitteleuropäischen Klima leben? Nun, den Zahn muss ich Ihnen leider ziehen. Daran mögen Sie sich bei der jetzigen Winterkälte womöglich schlecht erinnern, doch auch Deutschland wird von Hitze heimgesucht – und zwar schon jetzt über das verträgliche Maß hinaus. Das fasste ein Verbund internationaler Wissenschaftler in dem gerade veröffentlichten Lancet Countdown in Zahlen: Demnach starben 2018 in Deutschland rund 20.200 über 65-Jährige, weil es zu heiß war. Nur in China und Indien gab es den Forschern zufolge im gleichen Jahr mehr Hitzetote – nicht prozentual, sondern in absoluten Zahlen.


In Ihnen ruft es immer noch leise: „Immerhin kann man jetzt auch an Deutschlands Küste vernünftigen Badeurlaub machen“? Auch der Zahn muss leider raus. Denn des Klimawandels Wege sind zuweilen unergründlich, will heißen: Er löst manchmal Dinge aus, mit denen kein Mensch gerechnet hätte, so auch in der Ostsee. Weil die immer wärmer wird, vermehren sich in ihr Vibrionen. Das sind Bakterien, die bei nichts ahnenden Badenden schwere Wundinfektionen auslösen können, in seltenen Fällen enden die sogar tödlich. Ein Forscherteam vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung fand nun heraus, wie die Bakterien es durch den kalten Winter schaffen: in den Körpern der Schwarzmundgrundeln. Die kleinen Bodenfische haben selbst eigentlich nichts in der Ostsee zu suchen, sondern reisten als blinde Passagiere im Ballastwasser von Frachtschiffen ein.

Das Problem ließe sich lösen, wenn wir die Grundeln einfach aufäßen, nur sind sie unter Anglern unbeliebt, sie sprechen von „vergrundelten“ Angeltagen – noch! Denn Rettung naht von den Anglerverbänden, die Kochrezepte in Umlauf bringen, um die Schwarz- mundgrundel schmackhafter zu machen. So sieht die Antwort auf den Klimawandel aus – Petri Heil!


„Klima vor acht“ statt „Börse vor acht“– nur zu, ARD!

Gucken Sie denn im Fernsehen die Börsennachrichten? Falls ja: Wirklich, weil Sie sich für die Börse interessieren? Oder doch eher aus Versehen, weil Börse vor acht in der ARD eben um kurz vor acht und damit kurz vor der Tagesschau läuft? Oder weil Sie es herrlich lustig finden, die Parodie von Martina Hill in dem (längst abgesetzten) Format Switch reloaded mit der originalen Anja Kohl abzugleichen? Aus der Parodie bleiben uns immerhin schöne Weisheiten wie: „Dem ganzen Stress kann man entgehen, vermeidet man es aufzustehen – an der Börse ist das nicht anders.“ Was aber bleibt uns vom Original? Das eingebrannte Bild der immer gleichen, ausgeschalteten Bildschirme im Hintergrund, die vermitteln sollen, dass man ganz nah dran ist, am Geschehen aber eben doch nicht – ist ja niemand da.

 

Diese tägliche Schalte zum verwaisten Parkett in Frankfurt am Main kann man als beruhigende Beständigkeit empfinden. Für die meisten ist das Treiben an der Börse aber vollkommen irrelevant, denn nur 15 Prozent der Menschen in Deutschland besitzen überhaupt Aktien, Tendenz sinkend. Warum sollten die restlichen 85 Prozent ihnen beim Handel damit zuschauen? Eine Gruppe von Aktivisten findet, sie sollten stattdessen etwas zu sehen bekommen, was sie alle betrifft, nämlich den Klimawandel. In ihrer Vorstellung soll aus Börse vor acht dann Klima vor acht werden. Per Crowdfunding hat die Gruppe schon 46.000 Euro eingesammelt, um die ersten Folgen aufzunehmen. Die ARD, die sich auf Drängen der Gruppe von ihrer 20 Jahre alten Börsentradition verabschieden soll, ist wenig begeistert und weist beflissen darauf hin, dass sich ja auch Börse vor acht regelmäßig mit den Zusammenhängen zwischen Ökonomie und Ökologie befasse.

 

So ganz unrecht hat die ARD damit nicht, denn die Börse thematisiert den Klimawandel längst – und zwar, indem sie auf ihn wettet. Anfang vergangenen Jahres titelte der US-amerikanische Finanznachrichtendienst Bloomberg: „US-Konzerne bereiten sich darauf vor, den Klimawandel zu monetarisieren“, und die Finanzplattform Marketwatch gibt „5 Tipps, wie Sie mit Ihren Börseninvestitionen vom Klimawandel profitieren“. Ökonomie und Ökologie – da haben wir’s doch.

 

Liebe ARD, jetzt muss ich vielleicht mal etwas klarstellen: Den 85 Prozent ist es herzlich egal, wie die anderen 15 Prozent selbst aus der nahenden Katastrophe ein Geschäft machen können. Sie würde vielmehr interessieren, wie man diese Katastrophe noch abwenden kann. In dieser Hinsicht ist es nämlich nicht kurz vor acht, sondern fünf vor zwölf, wenn Sie verstehen.


Potzblitz, der Mars schaut ausgerechnet jetzt hier vorbei

Dieser Tage ist uns der Mars so nahe wie selten. Die Erde wird genau zwischen dem Roten Planeten und der Sonne stehen, im günstigsten Moment ist der Mars dann nur noch 62 Millionen Kilometer von uns entfernt. Zugegeben, das ist immer noch sehr weit weg. Aber wenn die Sonne in diesen Tagen untergeht, dann wird der Mars deutlich erkennbar als roter Punkt am Himmel aufgehen. Er kommt in Sichtweite. Warum ich Ihnen das jetzt erzähle? Nun, finden Sie es nicht auch geradezu schicksalhaft, dass der Mars ausgerechnet dann bei uns vorbeischaut, wenn es auf der Erde immer ungemütlicher wird?

 

Das Covid-19-Virus nimmt uns erneut in den Würgegriff, weltweit brennen die Wälder stärker denn je, wegen der Gletscherschmelze droht ein Mega-Tsunami vor Alaska – und das alles darf erst als erste Vorboten noch viel größerer Katastrophen verstanden werden. Selbst im optimistischsten Verlauf der globalen Erwärmung wird es ungemütlich auf der Erde. Es wird also Zeit, sich nach Alternativen umzusehen.

 

Eine dieser Alternativen ist der Mars, ernsthaft. Den schlug der im Jahr 2018 verstorbene Astrophysiker Stephen Hawking mehrfach und mit Nachdruck als Ausweichplaneten für die Menschheit vor. „Für das Leben auf der Erde besteht die wachsende Gefahr, durch eine Katastrophe ausgelöscht zu werden, etwa durch eine plötzliche globale Erwärmung, einen Atomkrieg, einen genetisch veränderten Virus“, warnte er schon 2006. Also weg hier, und zwar schnell: In Hawkings Vision sollten schon bis zum Jahr 2025 Menschen zum Mars geschickt werden, damit es dort noch rechtzeitig was wird mit dem Aufbau einer neuen Kolonie, bevor auf der

Erde alles in die Binsen geht. Im vorauseilenden Gehorsam wollte das Vorhaben „Mars One“ dies schon bis 2023 schaffen: Vier Menschen sollten sich dann auf dem Roten Planeten eingerichtet haben. Öffentlichkeitswirksam hatte die niederländische Organisation Tausende Kandidaten gecastet, von denen sich dann vierzig Personen begleitet von einem Reality-TV-Format auf die Mission ohne Rückfahrkarte vorbereiten sollten. Nun ja, es ist nichts daraus geworden. Die – doch recht entscheidende – Frage des Transportmittels wurde nie ganz geklärt und das Unternehmen ging letztlich pleite.

 

Solche Auswanderpläne könnten Sie als Spinnerei abtun. Die Schlauen unter Ihnen werden dieser Tage aber Ihre Teleskope gen Mars richten – noch kommt man vielleicht günstig an Grundstücke. Die Langsamen unter Ihnen, tja, die müssen bis zur nächsten Gelegenheit im Jahr 2035 warten.


Das wird Ihnen den Atem verschlagen

Bevor Sie sorglos beginnen zu lesen: Ich empfehle für die Dauer dieses Textes die Luft anzuhalten, denn Sie werden sich während des Lesens fragen, was Sie da eigentlich einatmen. Und je weiter Sie kommen, desto weniger werden Ihnen die Antworten gefallen. Die Lesedauer dieses Textes dürfte etwa zweieinhalb Minuten betragen, das ist zu schaffen.

 

Mit jedem Atemzug nehmen Sie normalerweise größtenteils Stickstoff, etwas Sauerstoff  und sehr geringe Mengen Argon, Kohlendioxid, Wasserstoff und andere Edelgase auf. Das wäre die gute Luft. Dazu kommt noch die schlechte Luft, also etwa Abgase, Rauch oder Ammoniak.

 

Was Ihnen bislang aber noch niemand erzählt hat: Sie atmen auch jede Menge Pestizide ein, und zwar ziemlich egal wo Sie wohnen, ob neben einem konventionellen oder neben einem Bio-Acker, am Rande eines Naturschutzgebietes, im Bayerischen Wald oder mitten in Berlin. Das ist das Ergebnis einer vom Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft und dem Umweltinstitut München in Auftrag gegebenen Studie. An 163 über ganz Deutschland verteilten Messpunkten wiesen die Forscher unheimliche Cocktails von bis zu 34 Pestiziden auf einmal nach. Omnipräsent: das als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestufte Unkrautbekämpfungsmittel Glyphosat. Insgesamt fanden die Forscher 138 landwirtschaftlich genutzte Substanzen in der Luft, auf Baumrinden und in Bienenbrot. Falls Ihnen das schon den Atem verschlagen hat (schön weiter die Luft anhalten!), dann machen Sie sich auf das hier gefasst: 41 dieser Substanzen sind gar nicht in Deutschland zugelassen. Dazu zählen das zu DDR-Zeiten versprühte DDT oder das Insektizid Chlorpyrifos, das im Obstanbau in Süd- und Osteuropa eingesetzt wird.

 

Das alles zeigt: Pestizide verwehen viel weiter, als die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit behauptet. Diese ist für deren Zulassung zuständig. Über Glyphosat schreibt die Behörde etwa: „Ein Ferntransport durch die Luft kann ausgeschlossen werden.“

 

Vom Winde verweht wird wohl nichts so schnell, einmal versprüht, überdauern die Giftstoffe offenbar jahrzehntelang in der Natur und eben in der Luft. Egal wo Sie leben oder was Sie essen, Sie nehmen diese Stoffe jeden Tag in Ihren Körper auf. Glyphosat etwa wurde in einer anderen Studie im Urin von 99,6 Prozent der Probanden nachgewiesen.

 

Was das mit Ihnen macht, weiß niemand. Bevor Sie nun wieder einatmen daher ein freundschaftlicher Rat: Setzen Sie sich vorher eine Atemmaske auf, die dürften Sie aus anderem Anlass ja sicher zur Hand haben.


Die Zukunft ist nur einen Steinwurf entfernt

Der Weg in die Klimaneutralität ist ein weiter, und nun deutet sich an: Es könnte auch ein steiniger werden, und zwar im wörtlichen Sinn. Das große Problem der erneuerbaren Energien ist, dass sie nicht regelmäßig Strom liefern, sondern nur, wenn der Wind weht oder die Sonne scheint. Dann auch oft gleich zu viel, und wo der überschüssige Strom zwischengelagert werden kann, ist ein noch nicht gelöstes Problem.

 

Bislang benutzen wir zum Speichern von Energie Lithium-Ionen-Akkus. Deren Erfinder wurden dafür erst letztes Jahr mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Die Akkus sind aber recht teuer und das Lithium muss auf ziemlich unschöne Weise aus dem Boden gefördert werden. Doch die Zukunft ist schon einen Steinwurf voraus – bei der Suche nach billigen und einfachen Ansätzen landeten mehrere Forscher weltweit nun bei der trivialen Lösung: Stein.

 

Wissenschaftler der privaten Washington University in St. Louis in den

USA verkündeten unlängst stolz, im Baumarkt Ziegelsteine für 65 Cent

das Stück gekauft zu haben. Strom speichern die allerdings nicht einfach so: Die Forscher tränkten die Steine in einer Flüssigkeit, die Nanofasern des leitfähigen Kunststoffs Pedot enthielt, die sich dann in den Poren der Steine absetzten. In Hauswänden verbaut könnten sie zum Beispiel tagsüber Energie aus Solarzellen aufnehmen und nachts damit die Notbeleuchtung versorgen.

 

Bislang bringt die Backstein-Batterie allerdings nur eine grüne Leuchtdiode zum Leuchten – eine Leistung, die jedes Kind mit einem Apfel, zwei Centmünzen und zwei Unterlegscheiben nachbauen könnte. Die Forscher räumten dann auch ein, dass die Energiedichte der Backsteine bei gerade mal einem Prozent der Dichte von Lithium-Ionen-Batterien liege. Und dass man sie bei einer stärkeren Ladung ummanteln müsste, damit man beim Anlehnen an die Wand keinen elektrischen Schlag bekommt. Und dass die Behandlung die Steine womöglich etwas instabil mache. Hm.

 

Etwas weiter ist da schon der Windkraftanlagen-Hersteller Siemens Gamesa. Der schüttete letztes Jahr in Hamburg 1.000 Tonnen Vulkansteine auf, die überschüssige Windenergie speichern sollen. Professionell nennt sich das Schüttgut-Technologie. Man spinne das jetzt einfach mal weiter: Ziegelsteine als Smartphone-Akkus, Autos voller Wackersteine, statt Powerbanks dann Powerstones. Klar, wir hatten

uns die Zukunft etwas leichtfüßiger vorgestellt – ich empfehle jetzt schon mal die Anschaffung einer Sackkarre, vor dem großen Ansturm.


Mit Pusteblume: Die Ölindustrie will klimaneutral werden

Für die Ölindustrie gibt es ein Existenzproblem: Die Europäische Union möchte in Zukunft klimaneutral sein. Naturgemäß kann ein Industriezweig, der sein Geld mit klimaschädlichem Öl verdient, kein Teil dieser Zukunft sein. Nein, in dieser Zukunft  sollen Fahrzeuge mit Elektroantrieb statt Verbrennungsmotor die Straßen dominieren, in dieser Zukunft soll man nicht mehr zur Tankstelle rechts rausfahren, sondern zur Ladesäule.

 

Zugegeben, es ist äußerst fraglich, ob sowohl die Autobauer als auch das Verkehrsnetz bis zum Jahr 2050 so weit sein werden – dem Jahr, zu dem die EU ihre Klimaneutralität anstrebt. Aber wie lange es auch dauern wird, die Ölindustrie darf berechtigte Sorgen haben, dass sie in diesem Szenario nicht mehr vorgesehen ist.

Deswegen verkündete sie nun kühn: Wir können bis zum Jahr 2050 selbst klimaneutral sein, ha! Wie zur Hölle sie das anstellen will? Mit neuen wundersamen CO2-armen Kraftstoffen. Vorgestellt haben das vergangene Woche der deutsche Mineralölwirtschaftsverband MWV und der europäische Dachverband Fuels Europe. Letzterer vertritt Mitglieder wie BP, Shell und Total,alle drei standen schon mit Umweltverschmutzungen durch Lecks an ihren Ölplattformen in den Schlagzeilen. Ihr neues Image bebildern sie nun mit Bananenschalen, Pusteblumen und Blüten im Gegenlicht. Diese Fotos sollen zeigen, woraus der Sprit von morgen gemacht wird: aus Agrar- und Forstabfällen, Produktionsrückständen, Algen und hydrierten Pflanzenölen. Später sollen die sogenannten E-Treibstoffe hinzukommen. Das ist jetzt etwas verwirrend, denn das „E“ steht in diesem Fall nicht für „Elektro“, sondern für „erneuerbar“, im Sinne von erneuerbare Energien. Die sollen nach dem Willen der Ölindustrie nicht direkt ins Auto eingespeist werden, sondern einen recht aufwendigen Umweg gehen: Mit ihrer Hilfe soll Wasserstoff gewonnen werden, sowohl grüner aus Elektrolyse als auch blauer aus Erdgas. Unter Einsatz von CO2 – das idealerweise aus der Luft stammt – soll aus dem Wasserstoff  dann der Treibstoff  erzeugt werden. Alles etwas kompliziert, deswegen hat Fuels Europe die E-Treibstoffe bei seiner Collage mit den Bananenschalen und Blümchen auch lieber weggelassen.

 

Genauso wie das CCS-Verfahren, die Einlagerung von CO2 unter der Erde, mit der die Ölindustrie alle übrig bleibenden Emissionen elegant unter den Teppich kehren möchte. Das ist aus sehr vielen Gründen bedenklich – noch nicht genug erforscht, gefährlich, Platzprobleme –, aber im Sinne der Emissionsreduktion sticht vor allem ein Gegenargument heraus: Es ist unfassbar energieaufwendig. Das Umweltbundesamt schreibt: „Der Einsatz der CCS-Technik erhöht den Verbrauch der begrenzt verfügbaren fossilen Rohstoffe um bis zu 40 Prozent.“ Und irgendwie ging es doch darum, diesen Verbrauch jetzt zu reduzieren, oder?

 

Die Ölindustrie sieht aber nun darin ihren Weg in die Zukunft. Denn die flüssigen Kraftstoffe könnte sie einfach gegen das Öl eintauschen. Fuels-Europe-Generaldirektor John Cooper sagt, er sei ganz überrascht gewesen, wie viel von einer konventionellen Raffinerie sich auch für die Herstellung der neuen Kraftstoffe eigne. Gut, bis zu 650 Milliarden Euro werde die Umstellung dann schon noch kosten.

 

Zugegeben, viel Geld, deswegen soll die Politik nun helfen. Jetzt wo die Raffinerien das Öl nicht mehr haben wollen, soll sie zum Beispiel die CO2-Preise dafür hochschrauben, damit dann alle die schönen neuen Kraftstoffe haben wollen.

 

Nun ja, der Versuch der Ölindustrie, nicht in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, wirkt ein wenig verzweifelt. Und teuer. Und noch dazu umständlich. Oder, wie das Umweltministerium gegenüber dem Handelsblatt kurz und knapp urteilt: „nicht sinnvoll“.


Die Elbe wird jetzt tiefer gelegt, und keiner weiß warum

Ein recht unscheinbares Gewächs ist der Schierlings-Wasserfenchel. Die krautige Pflanze trägt bescheidene weiße Blüten, ihre rautenförmigen Blätter werden als wenig individuell beschrieben, sondern eher verwechselbar, sie gleichen denen des Schwarzstieligen Streifenfarns. Kurzum: Würden Sie den Schierlings-Wasserfenchel sehen, so liefen Sie höchstwahrscheinlich achtlos an ihm vorbei. Damit hätten Sie seinen wahren Glanz jedoch verkannt, denn der ist rein historischer Natur, also für das Auge unsichtbar. Das unscheinbare Gewächs aus der Familie der Doldenblütler hätte nämlich beinahe der Stadt Hamburg ihre Identität gekostet, genauer gesagt ihren Hafen – und ohne Hafen ist Hamburg nichts.

 

Denn der Schierlings-Wasserfenchel war es, an dem sich die letzte juristische Auseinandersetzung um die Elbvertiefung aufhängte. Ja, auf dieser schnöden Pflanze ruhte die ganze Hoffnung der Umweltschützer von BUND, Nabu und WWF, die neunte Vertiefung der Elbe am Ende doch noch verhindern zu können.

 

Denn der Schierlings-Wasserfenchel wächst außer in der Tideelbe nirgendwo sonst auf der Welt, er ist laut der Roten Liste der Farn- und Blütenpflanzen Deutschlands vom Aussterben bedroht, und die EU-Fauna-Flora-Habitat-Richtline gebietet der Bundesregierung, ihn zu schützen. BUND, Nabu und WWF klagten deshalb gegen das geplante Abbaggern seines Habitats – doch vergebens. Ende vergangener Woche wies das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig die Klage ab und beendete damit einen 18 Jahre währenden Streit, in dem sich die Baggergegner zuletzt verzweifelt an den letzten Fenchelhalm geklammert hatten. Nun muss der Schierlings-Wasserfenchel in zwei alte Absetzbecken der Hamburger Wasserwerke umziehen – und einer sündhaft teuren Vertiefung Platz machen, von der äußerst fraglich ist, ob sie der Hansestadt den ersehnten Geldregen bescheren wird. Für 700 bis 800 Millionen Euro – in etwa so viel wie die Kosten der Elbphilharmonie – soll die Fahrrinne so weit vertieft werden, dass auch Containerschiffe mit einem Tiefgang von bis zu 13,50 Metern den Hafen erreichen können. Blöd nur, dass im Verlauf des 18-jährigen Streits die Schiffe längst größer geworden sind, als man sich das damals ausgemalt hatte. Und zwar nicht tiefer, sondern länger und breiter.

 

Schiffe, die zusammen 90 Meter breit sind, passen auf der Elbe nicht aneinander vorbei. Das derzeit größte Handelsschiff der Welt ist 61 Meter breit. Also wird es eng auf der Elbe. Die ist und bleibt nun mal ein Fluss, sie wird niemals ein Meer. Genau aus dieser Überlegung heraus ist 2012 denn auch der Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven eröffnet worden. Wilhelmshaven liegt am Meer. Schiffe können da so groß sein, wie sie wollen. Hamburg wollte sich ursprünglich sogar an dem Hafen beteiligen – bis der CDU-Politiker Ole von Beust 2001 Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt wurde und lieber einen eigenen großen Hafen wollte.

 

Seitdem setzt der Jade-Weser-Port Staub an. 2018 schlug er gerade mal knapp 656.000 Container um, statt 2,7 Millionen, für die er gebaut wurde. Die Wilhelmshavener werden den Hamburgern jetzt einfach noch ein paar Jahre lang zuschauen müssen, wie sie ihren Fluss zum neunten und voraussichtlich letzten Mal ausbaggern, um das Unvermeidliche noch ein bisschen weiter hinauszuzögern: das Ende des drittgrößten Hafens Europas.

 

Das ist bitter für Hamburg, zu dem das Ankertattoo auf dem Oberarm gehört wie zu keiner anderen Stadt. Immerhin für den Schierlings-Wasserfenchel aber sind das doch rosige Aussichten: Von seiner neuen Heimat aus wird er sich bald ungestört über den gesamten Hamburger Hafen ausbreiten können. Und als Tattoo sähe er vielleicht gar nicht so schlecht aus.


Rettet die Boni der tapferen Macher in der Autoindustrie!

Haben Sie den Schock mittlerweile verdaut, von einer globalen Pandemie überrollt worden zu sein und nicht zu wissen, wann ihr Leben wieder in normalen Bahnen verlaufen wird? Gut, dann können Sie ja jetzt wieder kaufen, kaufen, kaufen – der Wirtschaft zuliebe.

 

Das zumindest erwartet die Automobilbranche nun von Ihnen. Denn auch sie leidet unter der Krise: Sie musste zwischenzeitlich die Produktion einstellen und Absatzeinbußen hinnehmen. Und da sollen Sie ihr jetzt raushelfen und wichtige Arbeitsplätze retten. Weil sie aber im Gefühl hat, dass Ihnen der Schock noch in den Knochen sitzt, will sie, dass Sie der Staat mit Kauf- und Abwrackprämien dabei unterstützt – mit Steuergeldern, also letztlich dann auch Ihrem Geld. Die Autohersteller selbst würden indes gerne weitermachen wie bisher, also auch Dividenden an Aktionäre und Boni an Manager zahlen. 2019 war für die Autobranche das beste Jahr seit zehn Jahren – das sähe jetzt einfach doof aus, wenn man an solchen Dingen nun anfinge zu sparen, findet Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie. Die CDU-Frau war einst Staatsministerin bei Bundeskanzlerin Angela Merkel.

 

Jetzt müsste man meinen, dass die Politik angesichts solcher Dreistigkeit einfach mal Nein sagt. Die drei Autoländer Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen tun sich damit aber schwer. Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) etwa kündigte an, das Prämienmodell schnellstmöglich zu prüfen. Er selbst sitzt übrigens im Aufsichtsrat von Volkswagen, was im vergangenen Jahr mit 163.000 Euro vergütet wurde, abzuführen an das Land Niedersachsen. Das muss mit der Aussage des Ministerpräsidenten natürlich nichts zu tun haben.

 

Kritisch ist an den verlangten Prämien vielmehr etwas ganz anderes: Sie sollen nach Wunsch der Autobranche nämlich auch für Modelle mit klimaschädlichen Verbrennungsmotoren gezahlt werden. Die Begründung dafür von Daimler-Vorstandschef Ola Källenius: Man solle es jetzt nicht allzu kompliziert machen. Umwelt hin oder her: „Hier geht es zunächst um die Ankurbelung der Wirtschaft.“ Auch Hildegard Müller findet eine reine Förderung von E-Autos falsch, weil die einfach noch nicht für jeden Verbraucher das Passende seien – „Denken Sie an die, die lange Strecken zurückzulegen haben.“

 

Und da muss man ihr recht geben: Wie weit wird man fahren müssen, wenn man in Zeiten des Klimawandels vor einer Überflutung, einem Sturm oder einem Waldbrand flieht? In so einer Situation möchte wohl niemand gerne nach der nächsten Ladesäule für sein E-Auto suchen. Da muss man jetzt einfach mal praktisch denken.


Was soll man sagen, die Bahn ist jetzt pünktlicher

Es gibt auch Lichtblicke in diesen dunklen pandemischen Zeiten. Und nein, dazu zählen leider nicht die Delfine, die sich angeblich wieder 

in die sauberen Kanäle Venedigs zurückgewagt haben sollen. Falls Sie diese anrührende Meldung auch zu der Proklamierung von Kalenderweisheiten wie „Jetzt kann die Natur mal durchatmen“ veranlasst hat, dann muss ich dieses Blatt jetzt leider abreißen: Venedigs Wasser ist zwar klarer geworden, die Bilder der Delfine stammen jedoch aus Sardinien.

 

Dafür konnte aber jemand anders durchatmen, und zwar die Deutsche Bahn. Zugegeben, die ist nicht ganz so niedlich wie Delfine, aber auch ihr sei in Zeiten der Krise Sympathie gegönnt. Sie vermeldete nun jedenfalls – und der Stolz war deutlich aus diesen Zeilen zu lesen: Ihre Fernzüge seien während und wegen der Corona-Pandemie im März deutlich pünktlicher ans Ziel gelangt. Und zwar kamen 82,4 Prozent der Züge – und damit 4,1 Prozent mehr als im März 2019 – rechtzeitig an. Als einen wichtigen Grund nennt die Bahn, dass das Aus- und Einsteigen an vollen Bahnsteigen wegfiel.

 

An dieser Meldung finde ich gleich mehrere Aspekte erstaunlich: Zum einen heißt das, dass immer noch 17,6 Prozent der Züge unpünktlich kamen, das heißt eine Verspätung von mehr als sechs Minuten hatten, denn alles darunter gilt noch als pünktlich. Und zum anderen heißt das, dass die Deutsche Bahn genau dann besonders gut funktioniert, wenn niemand mit ihr fährt.

 

Ich weiß nicht, wie man der Bahn das jetzt am besten beibringen soll, aber die Fahrgäste sind ja gewissermaßen der Grund, warum es die Bahn überhaupt gibt. Da wäre es doch mehr als wünschenswert, wenn der Betrieb so ausgerichtet wäre, als würden sie auch mitfahren – und dann auch aus- und einsteigen.

 

In anderen Ländern klappt das schließlich auch, und da muss ich gar nicht die Extrembeispiele Japan, China und Taiwan heranziehen (wo 99 Prozent der Züge pünktlich kommen, eine Minute zu spät gilt da schon als unpünktlich!), auch unsere Nachbarn in der Schweiz und in den Niederlanden kriegen das besser hin.

Wenn die Corona-Krise mal vorbei ist und wir uns wieder in öffentliche Verkehrsmittel trauen, dann sollte die Deutsche Bahn besser für uns bereit sein. Denn wollen wir die nächste und viel größere Krise – die Klima-Krise – verhindern, dann wäre es gut, wenn möglichst viele Menschen Zug fahren. Können sie sich nicht auf die Bahn verlassen, nehmen sie lieber das Auto oder Flugzeug. Gut, dann kommen die Züge wenigstens pünktlich.


Wir werden panisch. Außer, es geht um den Planeten

Wir blicken in diesen Zeiten einer globalen Katastrophe entgegen, Millionen von Menschenleben sind in Gefahr, unser Wirtschaftssystem droht einzuknicken, nichts wird mehr sein, wie es war. Es gilt nun keine Zeit zu verlieren,

will man die schlimmsten Auswirkungen noch abwenden. 

 

Und tatsächlich, auf die deutsche Politik ist Verlass: Es sei nun nötig, Verantwortung im Kampf gegen die Bedrohung zu übernehmen, ruft Bundeskanzlerin Angela Merkel unerschrocken aus. „Unsere Solidarität, unsere Vernunft und unser Herz füreinander sind auf eine Probe gestellt, von der ich mir wünsche, dass wir sie auch bestehen“, lässt sie ihr Volk wissen – „es ist nicht vergeblich, es ist nicht umsonst!“ Man müsse nun unbedingt auf die Empfehlungen der Wissenschaft hören, direkte Handlungsanweisungen werden an alle Bürgerinnen und Bürger ausgegeben, Großveranstaltungen abgesagt, Reisen gecancelt, die Wahl eines neuen CDU-Parteichefs wird auf unbestimmte Zeit verschoben. Die Notstandsmaschinerie läuft an. Die Kleinstadt Neustadt an der Dosse schreitet kühn voran und fährt sich selbst runter, Bundesländer schließen Kindergärten und Schulen, die Fluggesellschaften Lufthansa, Austrian, Swiss, Eurowings und Brussels wollen ihre Kapazitäten um die Hälfte reduzieren, niemand fliegt mehr in die USA. 

 

Stillhalten jetzt. „Wir müssen unseren Alltag ändern“, ordnet Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an. „Nicht allmählich, sondern jetzt.“ Merkel ist bereit, dafür die schwarze Null im Bundeshaushalt zu reißen; Geld spielt jetzt keine Rolle. 

„I want you to panic“, hatte ein kleines schwedisches Mädchen uns aufgefordert – und ja, wir verfallen in Panik! Wir stellen uns auf den Ausnahmezustand ein, wir kaufen die Supermärkte leer und verfolgen atemlos die Newsticker mit immer neuen Todeszahlen. Die junge Generation hat es endlich geschafft, uns wachzurütteln, wir sind jetzt bereit, alles zu geben, was es braucht, um ihre Zukunft zu retten! 

Was? Hier geht es gar nicht um den Klimawandel, um die größte Herausforderung unserer Zeit, wie der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, ihn nennt? 

 

Ach so, schade. Aber war denn die Bekämpfung des Klimawandels nicht auch irgendwie dringend? Könnte man sich da nicht genauso ins Zeug legen wie jetzt bei Corona? Energie- und Mobilitätswende im Eilverfahren zur Rettung von Menschenleben? 

Ach, jetzt geht erst mal Datteln 4, ein neues Steinkohlekraftwerk, ans Netz. Muss alles wirtschaftlich verträglich sein, verstehe. Die schwarze Null, ja klar, da ist sie wichtig. 


Komm, sei dabei: Hirsche schießen mit Trump junior

Hey, im November schon was vor? Nee? Da habe ich was für Sie: Donald Trump junior und sein Sohn laden Sie und Ihren Zögling zur „Traumjagd“ nach Alaska ein – nicht im Sinne von „Träume jagen“, sondern von traumhafter Jagd. Sieben Tage Luxusjacht mit dem Trump-Duo, tagsüber Jagd auf den Sitka-Schwarzwedelhirsch in der Wildnis, abends Prosecco. Der ganze Spaß wird bei der jährlichen Trophäenjagd-Messe des Safari Club International in Reno, Nevada, versteigert. Daneben gibt es den Abschuss von Elefanten, Büffeln, Krokodilen und Giraffen zu gewinnen. – Oh, ich höre gerade, die Reise mit Don Trump ist schon für 150.000 Dollar weggegangen, ärgerlich. Wenn Sie eine Frau sind, hätten Sie ohnehin nicht mitbieten können, das Angebot richtete sich an die Konstellationen „Vater/Sohn/Tochter/Großeltern- teil/Enkelkind“ – Frauen können ja nicht schießen.

 

Was, Sie finden es verwerflich, dass der Sohn des amerikanischen Präsidenten zu den Gewehren ruft, um sie gemeinsam mit den Kindern gegen Hirsche zu richten, die nur in dieser Region leben? Also erst einmal sei dieses Programm dazu da, das „wahre Jagderlebnis“ mit der nächsten Generation zu teilen, schreibt der Safari Club – ein Bildungsauftrag, sozusagen. Und mit der Jagd leiste man aktiven und beherzten Naturschutz, also Schutz durch Tötung. Sozusagen.

 

Und da ist ja auch etwas dran, irgendwie. Man muss nur das große Ganze betrachten, um die Zusammenhänge zu verstehen. Denn der Herr Papa Trump ist ja ein fleißiger Motor des Klimawandels. Letzten November reichte er seine Austrittserklärung aus dem Pariser Klimaabkommen ein, nächsten November ist der Austritt vollzogen. Zum Dank wird es überall muckelig warm. Eine Messstation in der Antarktis meldete gerade einen neuen Hitzerekord: satte 18,3 Grad.

 

Auch Alaska, wo es Sohnemann Trump zu jagen beliebt, heizt sich viel schneller auf als der globale Durchschnitt. Das sorgte letztes Jahr schon für verheerende Waldbrände. Die Tiere, die das überlebt haben, werden es in der künftigen Trockenheit immer schwerer haben, Nahrung zu  finden. Da ist es doch eigentlich ehrenhaft, dass Trump junior ihnen schon mal vorab den Gnadenschuss gibt. So

wie letzten Sommer, als er ein Schaf einer seltenen Rasse in der Mongolei schoss. Da wird’s ja auch heiß, das hätte dann eh nur noch gelitten.

 

Und damit Donald junior und dessen Junior sich den Beweis für ihre Ehrentaten auch ins Wohnzimmer hängen können, lockerte Senior die Regeln, um Jagdtrophäen in die USA einführen zu können. Läuft im Hause Trump.


Alle wollen Zäune bauen. Jetzt auch gegen die Schweine

Es ist die Zeit der Grenzbefestigungen. Während Großbritannien

in in seinen Brexit-Verhandlungen mit harten und weichen Grenzen zwischen Irland und Nordirland hadert, schloss Bayern im Sommer letzten Jahres seine Grenze nach Österreich aus Angst vor „schwer integrierbaren Männern“. Gerade erst feierte Deutschland 30 Jahre Mauerfall und auf der anderen Seite des Atlantiks verlangt US- Präsident Donald Trump schon seit seinem Wahlkampf lautstark nach einer Mauer zwischen Mexiko und den USA. Trotz allen Lärms ist auch nach drei Jahren Amtszeit allerdings noch kein Meter der rund 3.200 Kilometer langen Grenze vermauert.

 

Im Windschatten von derlei Schlagzeilen hat sich in diesen Tagen eine ganz andere Linie geschlossen. Dänemark zog einen Zaun entlang der deutsch-dänischen Grenze. Der Grund: Man wolle die deutschen Schweine im eigenen Land nicht mehr haben. Was für eine Frechheit! In fixen zehn Monaten Bauzeit zog Dänemark einen 70 Kilometer langen Zaun von der Ost- bis zur Nordsee. Dänen und Deutsche stehen sich nun traurig winkend auf beiden Seiten des Zaunes gegenüber, so sieht sie aus, die Abschottungsrealität. „Es ist ein guter Tag für die dänische Schweinefleischindustrie“, freute sich Asger Krogsgaard, Vorsitzender des dänischen Schweineschlachtereiverbandes, als das letzte Zaunteil nahe dem Grenzübergang Sofiedal in den Boden gerammt wurde. Also ja, es geht um echte Schweine, nicht um metaphorische, genauer: Es geht um Wildschweine, die sich normalerweise nicht an Grenzen halten.

 

Denn Dänemark hat Angst vor der Afrikanischen Schweinepest. Würde die auf dänischem Boden nachgewiesen, dürfte das Land kein Schweinefleisch mehr in Nicht-EU-Länder exportieren. Und mit dem Fleisch haben die Dänen letztes Jahr 1,3 Milliarden Euro verdient. Das würden sie auch gerne nächstes Jahr wieder. Deswegen der Zaun.

 Der soll infizierte Wildschweine von der unbefugten Einreise nach Dänemark abhalten. Der Witz: Es gibt überhaupt keine infizierten Schweine in Deutschland. Sondern in Belgien und Polen. Und selbst wenn es hier welche gäbe, dann wären es vermutlich nicht die kranken Tiere, die das Virus weiter verbreiten würden, sondern Menschen, urteilen Experten. Zum Beispiel, indem sie Wurstbrote wegwerfen, die das Virus enthalten. Die könnten dann von Wildschweinen gefressen werden.

 

Statt also sechs Millionen Euro in den Zaunbau zu versenken, hätte Dänemark besser eine Wurstbrotkontrolle eingeführt. Das hätte sich auch gut vermarkten lassen: „Die erste Veggie-Grenze Europas – den Schweinen zuliebe“.


Im Dunkel unserer Kanalisation wachsen Fettberge

Zugeben, um die Natur ist es nicht allzu gut bestellt: Der Amazonas-Regenwald verbrennt, die Gletscher schmelzen, die Meere versauern, die Korallenriffe bleichen, Weideland verwüstet. Alles irgendwie unsere Schuld. Aber wir machen nicht alles kaputt, wir können auch erschaffen, und zwar Großes. Wir Menschen verstehen uns nämlich aufs Bergebauen. Ja wirklich, richtig schöne große Berge lassen wir entstehen, und das sogar mitten in den Städten. Dafür spülen findige Stadtbewohner das Konstruktionsmaterial einfach den Abfluss runter, das Wunder der Berg-Geburten geschieht dann vor neugierigen Augen geschützt in der Dunkelheit der Kanalisation. Dort verklumpen sich in die Finsternis hinabgesandte Frittierfette, Binden, Windeln, Feuchttücher und Kondome nämlich zu sogenannten Fettbergen. Zunächst sind sie ganz klein, aber gefüttert von ihren heimlichen Konstrukteuren wachsen sie auf stattliche Größen heran.

 

Gerade hat Thames Water, der private Betreiber der Londoner Kanalisation, wieder so einen Fettberg aus den Abwasserrohren der britischen Hauptstadt abgetragen. Stattliche 40 Tonnen soll er gewogen haben, und weil er auf britischem Boden gewachsen war, wurde der rote Doppeldecker-Bus als Vergleichsgröße herangezogen: Der Fettberg entsprach dem Gewicht dreier solcher Busse. Erstaunlich oft sind es britische und US-amerikanische Städte, die mit solchen Fettbergen Schlagzeilen machen, Anfang des Jahres etwa das südenglische Dorf Sidmouth mit einem Berg so lang wie sechs Doppeldecker-Busse. Zum einen wird in diesen Ländern das geeignete Konstruktionsmaterial massenhaft verwendet – und runtergespült –, zum anderen sind die Kanalisationssysteme dort alt und überlastet. So ein Fettberg verstopft dann schnell mal das Rohr oder lässt es sogar zerbersten. Kanalarbeiter müssen ihn deswegen abtragen, oft mühsam per Hand.

 

Ich will das jetzt einfach mal als Idee in den Raum stellen: Was wäre, wenn wir die Fettberge wachsen ließen? Irgendwann hätten sie sich ihren Weg an die Oberfläche gebahnt, wo sie die doch allseits kritisierten Betonwüsten aufbrechen würden. Berge mitten in der Stadt! Kinder könnten auf ihnen spielen, beim Stürzen stets sanft vom Fett aufgefangen. Und wer weiß, vielleicht ließe sich ja sogar auf ihnen Ski fahren, ganz ohne Schnee?

 

Das Museum of London hat ein Stück Fettberg immerhin bereits in seine permanente Ausstellung aufgenommen, per Fatcam-Livestream im Internet sogar weltweit beobachtbar. Mit zusammengekniffenen Augen sieht es fast aus wie Schnee.


Jetzt ist’s raus: Die Schafe zerrülpsen unser schönes Klima

Die Reduzierung der Treibhausgasemissionen ist ein globales Problem, das einen transnationalen und interdisziplinären Ansatz erfordert“, konstatierte jüngst die schottische Wissenschaftlerin Nicola Lambe. Sie macht deswegen das einzig Richtige und dringt mit einem transnationalen und interdisziplinären Team zum Kern des Problems Klimawandel vor: den Schafen.

 

Ganz recht, sie mögen unschuldig aussehen, wie sie da schüchtern blökend auf den Weiden dieser Welt stehen – mit ihren drolligen Locken und den niedlichen Schlappohren. Aber wir sind ihrem spröden Charme lang genug erlegen. Zu lange haben wir mit den Fingern auf die naheliegenden Bösen gezeigt, auf die Kohlekraftwerke, die Flugzeuge und die Schwerindustrie. In ihrem Schatten grasten derweil unauffällig die wahren Schuldigen der Klimamisere. Es hätte uns längst klar sein müssen, schließlich lernen wir schon in der Bibel, dass sich ein Wolf unterm Schafspelz verbirgt – ein Killer, ein Klimakiller.

 

Jetzt könnte man meinen, dass ein Tier, das den lieben langen Tag nichts anderes tut, als auf der Weide rumzustehen und Gras zu fressen, eigentlich nicht so viel falsch machen kann. Doch genau in dieser einzigen Aktivität, dem Fressen, liegt ihre Sünde. Denn nach dem Essen – einige Leser werden das auch an sich selbst schon mal beobachtet haben – da müssen die Schafe rülpsen. So, und damit treiben sie uns alle ins Verderben, denn dabei kommt Methan mit raus, das steigt in die Atmosphäre auf, wirkt dort rund 25-mal stärker als Kohlendioxid, Treibhauseffekt, das Weltklima heizt sich auf, die Gletscher schmelzen, der Meeresspiegel steigt – Sie kennen das Spiel.

 

Unter dem Namen „Grass To Gas“ schlossen sich nun Wissenschaftler aus Großbritannien, Frankreich, Irland, der Türkei, Norwegen, Neuseeland und Uruguay zusammen, darunter auch die eingangs zitierte Genetikerin Nicola Lambe, um das Methan aus den Schafrülpsern zu züchten. Schon vor knapp 15 Jahren – als der Klimawandel noch wie ein süßes Versprechen auf Ballermann an der Nordsee klang – hatten australische Forscher eine Impfung gegen Methanbakterien erfunden, mit der sie das Methan in den Schafrülpsern um acht Prozent reduziert haben wollten.

Hätte die Welt ihnen damals nur mehr Beachtung geschenkt und ihre Forschung vorangetrieben, dann hätten uns die Schafe nicht das Klima zerrülpst und es bräuchte nun kein transnationales und interdisziplinäres Team, um die Sache zu richten. Immerhin bedeutet das für alle anderen: weitermachen wie bisher. Die Schafe waren’s.


Tierwohllabel – Party im Stall! Aber nur mit Kostüm

Endlich können wir glückliche Tiere essen! Zu verdanken haben wir das CDU-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, die der deutschen Öffentlichkeit nun stolz ein Tierwohlkennzeichen vorgestellt hat, das künftig auf abgepacktem Fleisch kleben soll. In drei Stufen sollen wir bald erkennen, ob das zu verzehrende Tier zu Lebzeiten fröhlich, fröhlicher oder am fröhlichsten war. Und alle Stufen gehen über die Anforderungen des gesetzlichen Mindeststandards hinaus. Na, da ist ja wohl Party im Stall angesagt, oder doch nicht?

 

Gut, erst mal gilt es nur für Schweine. Und man könnte stutzig werden, wenn das Landwirtschaftsministerium als Ziel für das Tierwohlkennzeichen nicht etwa mehr Tierwohl angibt, sondern bessere Vermarktungschancen für die Bauern. Folgerichtig sind für eine mehrjährige Informationskampagne auch 70 Millionen Euro vorgesehen und für die Unterstützung der Bauern bei der Umsetzung der höheren Anforderungen – nichts.

 

Aber das macht ja nichts, denn die millionenschwere Kampagne wird über die Unzulänglichkeiten des Kennzeichens hinwegtäuschen. Sie und ich werden schnell vergessen, dass es kein verpflichtendes, sondern ein freiwilliges Label ist, dessen Einhaltung von privaten Stellen kontrolliert werden soll. Geblendet von lachenden Schweinen auf sonnenbeschienenen Wiesen werden wir uns bald schon nicht mehr daran erinnern, dass die drei Stufen sich bei vielen Kriterien gar nicht unterscheiden. Und verzückt von atmosphärischen Imagefilmen, in denen sich kleine Schweinchen genüsslich im Matsch suhlen, wird es uns wieder entfallen, dass der gesetzliche Mindeststandard gegen das geltende Tierschutzgesetz verstößt. Demnach dürfen Tiere nämlich nicht so in ihrer artgemäßen Bewegung eingeschränkt werden, dass ihnen vermeidbare Leiden und Schäden zugefügt werden.

 

Gehen wir mal beim Platzangebot ins unangenehme Detail (die Kampagne wird das dankenswerterweise bald wieder aus Ihrem Kopf löschen, auf dass es Sie nicht beim Einkauf belaste): Gesetzlicher Standard sind 0,75 Quadratmeter pro Schwein, die erste Stufe des neuen Labels verspricht 0,9 Quadratmeter. Das ist immer noch zu wenig, als dass sich alle Schweine etwa gleichzeitig hinlegen könnten oder als dass sie aufhören würden, sich gegenseitig die Schwänze abzubeißen. Schwierig zu vermarkten, aber nicht unmöglich. Was würden Sie zu mit kleinen Glitzerwesten bekleideten, schwanzlosen Schweinchen sagen, die sich heiter glucksend in Pyramiden übereinanderstapeln? Schon viel besser, oder?


Fliegen muss halt sein! Sagt Vielflieger Kretschmann

Von 1958 an wurde es voll im Himmel. Es war das Jahr, in dem die Economyclass eingeführt wurde und endlich auch Menschen mit dem Flugzeug reisen konnten, die

nicht Champagner zum Frühstück tranken. Mittlerweile fliegen auch die,

die Dosenbier frühstücken. Die Zahl der Passagiere, die jährlich in Deutschland in ein Flugzeug steigt, hat sich seit 1997 fast verdoppelt, auf 119 Millionen Menschen. Richtig, das sind mehr Menschen, als in Deutschland wohnen.Das ist so, als würden alle Deutschen und fast alle Polen zusammen in den Urlaub fliegen. Jedes Jahr. Das ist zwar irgendwie auch eine schöne Vorstellung, besser wäre es aber, wir führen alle zusammen mit dem Zug.

 

Der Anteil des Flugverkehrs an den globalen C02-Emissionen beträgt zwar nur drei Prozent, das viel größere Problem sind aber die Kondensstreifen, die sich hoch oben am Firmament manifestieren. Weil die vom Himmel eh nicht mehr wegzudenken sind, nahm die Weltvereinigung der Meteorologen sie vor zwei Jahren in den Wolkenatlas

auf, unter dem Namen „Homomutatus“, Lateinisch für „vom Menschen gemacht“. Nein, der Name ist kein Hinweis darauf, dass es sich hierbei um Chemtrails handelt, mit der uns eine verschworene Elite heimlich vergiftet, schaden tun uns die Streifen aber schon. Denn unsere schönen selbst gemachten Wolken heizen das Klima leider an, anstatt es – wie alle anderen Wolken – zu kühlen. Die wahre klimatische Belastung des Flugverkehrs könnte deswegen bis zu dreimal höher sein.

 

Angesichts dessen leuchtet es ein, den Flugwahnsinn regulieren zu wollen. Man könnte zum Beispiel endlich mal eine Kerosinsteuer einführen, oder eine Mehrwertsteuer für Auslandsflüge. Oder Inlandsflüge streichen. Aber das ist von den deutschen Politikern leider ähnlich viel verlangt, wie von einem Raucher ein Rauchverbot einzufordern oder von einem Spieler die Schließung aller Casinos. Sie verstehen, die Politiker hängen gewissermaßen selbst an der Nadel. Daran ist zu großen Teilen die damalige deutsch-deutsche Teilung schuld. Denn alle Bundesministerien haben immer noch einen zweiten Standort in der ehemaligen Hauptstadt Bonn. Weil die Bonner und Berliner sich viel und schnell sehen wollen, fliegen sie zueinander. Alle Ministerien verzeichneten im letzten Jahr 230.000 dienstliche Inlandsflüge – 630 am Tag.

 

Robert Habeck, Parteivorsitzender der Grünen, stellte seinen Kollegen bis 2035 aber nun kühn einen kalten Entzug in Aussicht, er findet ein Inlandsflugverbot sei „möglich und erstrebenswert“. Das sieht aber ausgerechnet sein baden-württembergischer Parteikollege Winfried Kretschmann ganz anders. Die Politik dürfe den Menschen nicht vorschreiben, wie sie sich fortzubewegen hätten. Was er eigentlich meinte: Sie soll es ihm – Kretschmann – nicht vorschreiben. Denn er sagte auch noch: „Kurzflüge von Stuttgart nach Frankfurt oder München sind Unsinn, aber auf Flüge nach Berlin kann ich aus Zeitgründen nicht verzichten.“

 

Eine Bahnfahrt von Stuttgart nach Berlin dauert fünfeinhalb Stunden. Vom Staatsministerium in Stuttgart sind es acht Autominuten zum Bahnhof, in Berlin liegt das Regierungsviertel gleich neben dem Hauptbahnhof. Ein Flug von Stuttgart nach Berlin dauert eine Stunde und zwanzig Minuten. Die Autofahrten zwischen Flughäfen und Büros dauern zwanzig und dreißig Minuten, dazu kommt eine Stunde Warten vor Abflug. Macht insgesamt einen zeitlichen Unterschied von knapp zweieinhalb Stunden.

Zweieinhalb Stunden, die Herr Kretschmann im Zug sinnvoll nutzen könnte, indem er etwa eifrig an der Energiewende oder am Dieselverbot arbeitet. Oder er könnte verträumt die Homomutatus-Wolken am Himmel zählen, die sieht man ja aus dem Flugzeug so schlecht.


2050: Wir essen Eis, am Fenster ziehen Sandstürme vorbei

Die globale Erwärmung ist in Deutschland angekommen. Zumindest in Konstanz, Heidelberg, Erlangen, Aachen und all den anderen Städten, die den Klimanotstand ausgerufen haben. Das bedeutet nicht, dass dort fortan Ausnahmezustand hinter Schutzwällen aus Bundeswehrsandsäcken herrscht, sondern erst mal nur, dass die Städte die Erderwärmung in ihrer Politik verstärkt berücksichtigen wollen. Großstädte wie Berlin, Hamburg oder München sind (noch) nicht darunter. Dass es aber vor allem die Metropolen sind, die ins Schwitzen geraten werden, haben Wissenschaftler der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich nun vorgerechnet.

 

2050 wird es in Großstädten auf der Nordhalbkugel so heiß sein wie heute 1.000 Kilometer weiter südlich. Damit wir das besser begreifen, haben die Forscher Städtepaare gebildet: In Madrid etwa wird es so heiß sein wie in Marrakesch, London bekommt die Hitze Barcelonas, Stockholm das Klima von Budapest, und in Moskau wird es so warm wie in Sofia. Und das alles bereits unter der sehr optimistischen, ja realitätsfernen Annahme, dass sich die Atmosphäre bis dahin nur um 1,4 Grad aufheizt.

 

Das bedeutet Großstadtdschungel und -wüste im wahrsten Wortsinn. Doof, dass mehr und mehr Menschen in Metropolen ziehen. Dann wird es noch mehr Menschen heiß. Kein Problem: Wozu gibt’s Klimaanlagen! Die machen es innen kalt. Blöderweise aber auch außen warm. Wie Kühlschränke transportieren sie Wärme von einem kühleren zu einem wärmeren Ort, also von innen nach draußen. Die Kältemittel, die sie dafür verwenden, sind Treibhausgase. Und sie verbrauchen viel Strom, auf absehbare Zeit aus klimaschädlichen Quellen. Trotzdem werden die hitzegeplagten Großstädter von morgen sie haben wollen. Damit es innen kalt ist. Geht man halt nicht mehr raus. Forschern des US-amerikanischen Rocky Mountain Institute zufolge werden Klimaanlagen die Erdatmosphäre bis 2100 um ein halbes Grad erwärmen. Und deshalb werden dann auch die Menschen in Helsinki sie haben wollen. Damit es auch dort innen kalt bleibt.

 

Wird sich das Leben in den Metropolen also in Zukunft drinnen abspielen? Werden Großstädter eisleckend hinter ihren Bürofassaden sitzen und den Sandstürmen da draußen zuschauen? Werden die Straßen verwaist sein, bis auf ein paar arme Irre, die sich über Bikram-Yoga, das bei 35 bis 40 Grad praktiziert wird, im Freien freuen? Wenn wir die Erde mit dem Klimawandel für uns unbewohnbar machen werden, wäre das immerhin eine gute Übung. Auf dem Ausweichplaneten Mars werden wir ja auch nicht ins Freie können.


Pfui Tüte! Nächste Bürgerpflicht ist die Plastikscham

Achtung, Achtung, es geht dem Hemd an den Kragen! Besser gesagt der Hemdchentüte, jener flattrigen Plastikhülle, in der Sie im Supermarkt bislang Ihr Obst und Gemüse verstauten. Ihr niedlicher Name – den sie trägt, weil sie aussieht wie ein Un- terhemd – täuscht darüber hinweg, welch ein Monster sie ist. Mit ihr ist nun ein neuer Umweltsünder aus der Familie der Plastikgegenstände enttarnt. Sie muss weg.

 

Wer sich noch vor Kurzem gefragt hat, warum es mit dem Umweltschutz bloß so dermaßen schleppend vorangeht, der ist genau wie das Europaparlament in diesem Frühjahr sicher schnell auf Strohhalme und Luftballonhalter gekommen. Wie hatten wir diese Riesensauerei auf Europas Kindergeburtstagen nur so lange übersehen können? Wenn die von 2021 an erst mal verboten sind, so hoffen Sie sicher auch, dann würde das Problem mit den vermüllten Weltmeeren endlich ein Ende haben. Aber da haben Sie Ihre Rechnung ohne die Hemdchentüte gemacht. Denn sie hat klammheimlich den Platz der Plastiktragetasche eingenommen. Seitdem die vor drei Jahren kostenpflichtig geworden ist, gibt es doch tatsächlich ein paar Füchse, die ihre Supermarkteinkäufe einfach in die kostenfreien Tütchen aus der Obst- und Gemüseabteilung stopfen. Jeder deutsche Bundesbürger zog im vorigen Jahr 37 dieser unscheinbaren Tüten von der Rolle – 37 Umweltsünden.

 

Aldi eilt nun zur Rettung: Der Discounter will für jede Hemdchentüte künftig den Mindestbetrag von einem Cent berechnen, das sind für jeden von uns dann immerhin 37 Cent im Jahr! Wir sollten uns schämen, dass wir es so weit haben kommen lassen, dass nun solch drastische Maßnahmen nötig sind, um uns zu erziehen. Plastikscham ist übrigens nach Flugscham das nächste große Ding. Der East West Market im kanadischen Vancouver wollte seine Kunden dazu bringen, weniger Tüten zu benutzen, indem er die Tüten mit peinlichen Schriftzügen wie „Wart Ointment Wholesale“ (Warzensalben-Großhandel) bedruckte. Er bewirkte das Gegenteil: Statt sich zu schämen, sammelten die Kunden die Plastikbeutel. Damit wir uns so richtig schämen, sollten tote Seevögel auf die Tüten gedruckt werden, schlug der Guardian in einem Kommentar vor.

 

Aber wissen Sie, wer sich eigentlich schämen sollte? Der Tütenhersteller, die Erdölindustrie und die Politik, die uns weismachen will, wir seien das Problem und nicht die Großkonzerne, die uns mit ihrem Plastikkram vollmüllen. Ich wäre bereit, meine letzte Hemdchentüte zu geben, aber sind es auch die, die an ihr verdienen?


Sind E-Roller toll? Nun, jeder Arschtritt wäre besser für uns

In Portland wachsen die E-Scooter auf den Bäumen. Zumindest sieht es auf manchen Instagram-Fotos aus der Stadt im Nordwesten der USA so aus, auf der Seite des Scooter-Chaos-Dokumentators pdxscootermess etwa. Da stecken sie hoch oben im Geäst städtischer Bäume, und wie schön wäre es, zu glauben, dass diese sie hervorgebracht hätten wie ihre Blüten und Blätter und die Roller eine Frucht aus Wasser, Nährstoffen und Photosynthese wären – ein Geschenk der Bäume an uns, auf dass wir mit ihnen umweltfreundlich unter ihren Blätterdächern umherrollen können. Bloß, so schwer, wie wir den Bäumen ihr Leben machen, würden sie uns eher einen Arschtritt verpassen, wenn sie könnten. Und dann, während wir uns wieder aufrappeln, würden sie uns anbellen: „Und hört auf mit diesen albernen E-Rollern, damit würdet ihr uns, euch und dem Klima einen größeren Gefallen tun!“ Recht hätten sie.

 

Deutschland aber fängt jetzt erst mal mit den E-Zweirädern an. Nachdem

die halbe Welt von San Francisco bis Singapur schon aufrecht stehend durch die Straßen flitzt, hat der deutsche Bundesrat nun der Elektrokleinstfahrzeugeverordnung zugestimmt, ab dem Sommer soll dann die ganze Republik auf „E“ sein. Alle klopfen sich dafür schon mal gegenseitig auf die Schultern: Deutschland beweist Verantwortungsbewusstsein für das Klima! Denn sobald irgendwo ein E davorsteht, muss es ja umweltfreundlich sein.

 

Das wäre dann so, wenn die Roller Autos ersetzen würden, was sie aber nicht tun. Stattdessen ersetzen sie Fahrräder und die althergebrachte Fortbewegung zu Fuß. Beides ist nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch noch gesünder.

 

Das so grün blinkende E ist also tückisch. Es steht für Elektro, also für Strom, der nur dann klimafreundlich ist, wenn er aus erneuerbaren Quellen stammt. Was er derzeit in Deutschland nur zu etwa 40 Prozent tut. Und vor allem muss er in Akkus gespeichert werden. Deren Herstellung ist sehr energieintensiv und ihre Bestandteile lassen wir unter unmenschlichen Bedingungen in armen Ländern von Menschen aus dem Boden kratzen, die unsere E-Roller erst als Elektroschrott zu Gesicht bekommen werden. Immerhin sind die meisten Leihroller schon nach wenigen Monaten hin – ein Großteil der Geräte wird billig in China produziert. Lange warten müssen sie also nicht.

 

Die wahre Geschichte hinter den Rollern im Geäst ist also: Die Bäume nehmen sie uns weg und verstecken sie so hoch oben in ihren Kronen, damit wir an sie nicht mehr rankommen. Eine erzieherische Maßnahme also. Danke.

der Freitag 2021

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