In Portugal wird im großen Stil Eukalyptus gepflanzt, auch für die deutsche Papierindustrie. Die Artenvielfalt leidet, die Waldbrandgefahr steigt – und mit ihr die Wut vieler Menschen
Manchmal muss man zerstören, um zu retten. Zu dieser Überzeugung sind jedenfalls die Insassen eines Jeeps gekommen, der in den noch nachtschwarzen Morgenstunden eines Sommertages irgendwo in Portugal über eine unbefestigte Piste rumpelt. Wer sie sind, das muss hier geheim bleiben, denn was sie vorhaben, ist illegal. Sie werden im Schutz der Dunkelheit in den terrassierten Plantagen ober- und unterhalb des Weges Reihe für Reihe Baumsetzlinge aus der Erde reißen, die dort erst vor Kurzem gepflanzt wurden. Sie werden diese bündelweise unter Sträuchern verstecken, sodass sie dort vertrocknen. Damit riskieren sie es, sich mit dem Gesetz anzulegen – und mit einem der mächtigsten Unternehmen des Landes. Aber nur so, glauben sie, lasse sich ein ökologisches Desaster verhindern.
Leichter Wind raschelt durch die bläulich-grünen Blätter der kniehohen Setzlinge. Mit zunehmendem Tageslicht frischt er auf, sodass sich die vier Männer und drei Frauen bald gegen ihn lehnen müssen. Die Pflanzen in ihren Armen biegen sich, als wollten sie sich ihrem Griff entwinden, sie hinterlassen klebrige Striemen auf der Haut und einen feinen Mentholduft in der Kleidung. Als die Morgensonne die Hügel in goldenes Licht taucht, hört die Gruppe auf, in der Ferne bellt ein Hund. „Irgendwann wird es jemand merken“, sagt einer auf dem Rückweg zum Jeep. „Wir werden es dann vermutlich in den Nachrichten sehen“, sagt eine andere. Bis dahin wollen sie so viele Plantagen wie möglich gerodet haben. Denn sind die Setzlinge einmal zu Bäumen geworden, wird man sie nicht mehr los.
Die Baumart, die sie aus dem Boden reißen, ist der Blaue Eukalyptus. Er wächst nicht von Natur aus in Portugal, sondern ist in Australien heimisch, so wie die Koalas, die einzigen Tiere, die seine giftigen Blätter vertragen. Die Artenvielfalt leidet in den Plantagen. Kaum etwas kann das Wachstum der Bäume bremsen, nicht mal ein trockener Sommer. Fällt im Herbst der erste Regen, saugen ihre weit verzweigten Wurzeln, die bis zu zehn Meter in die Tiefe reichen, auch den letzten Tropfen aus dem Erdreich. In dem ohnehin dürregeplagten Land sinkt dadurch vielerorts der Grundwasserspiegel.
Als invasive Art wird er dennoch offiziell nicht eingestuft, denn er ist wirtschaftlich erwünscht: Schon seit den Sechzigerjahren wird Eukalyptus in Portugal intensiv kultiviert. Seine kurzen, hellen Fasern eignen sich ideal zur Papierherstellung, und er wächst schnell: Bereits nach zehn Jahren kann das erste Mal geerntet werden. Das Geschäft mit dem Papier entwickelte sich bald zu einem der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes, 2018 exportierte Portugal Zellstofferzeugnisse im Wert von knapp drei Milliarden Euro. Knapp zwölf Prozent davon gingen nach Deutschland – nach Spanien und Frankreich ist die Bundesrepublik damit der drittgrößte Abnehmer. Die Ware kommt teils als Papier zu uns, ob fürs Büro oder den Werbeprospekt, zur Hälfte aber auch als Zellstoff, der etwa zu Taschentüchern, Binden oder Windeln verarbeitet wird. Die Zellstoff- und Papierwerke, Industrieanlagen mit immensem Wasser- und Energieverbrauch, verteilen sich über ganz Portugal.
Für die portugiesische Landschaft charakteristisch sind eigentlich hochgewachsene Seekiefern und knorrige Korkeichen, doch die werden mehr und mehr verdrängt. Der Eukalyptus ist mit einer Anbaufläche von mehr als 8500 Quadratkilometern längst Portugals dominierende Baumart, in keinem Land der Welt wächst bezogen auf die Fläche mehr davon. Aus der Ferne betrachtet erinnern die jungen Bäume mit ihren langen dürren Stämmen und den kleinen grünen Köpfen an Zündhölzer. Und das sind sie auch im übertragenen Sinne: millionenfach angepflanzte, dreißig Meter hohe Zündhölzer.
Was diese Zündhölzer machen, wenn sie mit einem Funken in Berührung kommen, das wissen die Bewohner der Kleinstadt Monchique auf einem Berg im Südwesten Portugals allzu gut. Sie brennen. Als die Eukalyptusplantagen dort 2018 in Flammen standen, war das Feuer selbst von der knapp dreißig Kilometer entfernten Küste noch zu sehen. Riesige Rauchwolken verdunkelten den Himmel – es habe ausgesehen wie die nahende Apokalypse, erinnern sich die Menschen in der Umgebung. Nur kommt die Apokalypse immer wieder.
„Es gab keinen Sommer, in dem es nicht brannte“, sagt Shanti Fernandes. Die Eltern der 38-Jährigen betreiben etwas außerhalb des Ortes ein Meditationszentrum in malerischer Hanglage. Durch die Fenster des Speisesaals reicht der Blick bis zum Meer über die eigentlich grüne Serra de Monchique, die nun braun, grau und grün gefleckt ist. Jedes Jahr wüten kleinere Feuer in der Gegend, erzählt Fernandes, alle zehn bis 15 Jahre käme ein großes. Als Anfang August 2018 von oben und von unten zugleich Flammenwalzen durch die Plantagen auf sie zurollten, konnten sie nur noch versuchen den Schaden einzudämmen, den es hinterlassen würde, wenn es über das Zentrum hinweggefegt wäre. „Wir warfen die Gasflaschen in die Wassertanks, damit sie nicht explodierten, und versuchten so viel wie möglich zu bewässern“, erinnert sich Fernandes. Je feuchter das Haus, desto wahrscheinlicher würde das Feuer es überspringen.
Es ist nicht einfach zu entscheiden, ab wann man aufhört zu versuchen, das Haus zu retten, und ab wann man flieht, um sich selbst zu retten. Ein Jahr zuvor waren in einem Feuersturm nie da gewesener Größe in Pedrógão Grande im Norden Portugals 66 Menschen gestorben, die meisten auf der Flucht in ihren Autos. „Das hatten wir die ganze Zeit im Kopf“, sagt Fernandes. „Am Ende mussten wir die Hunde und Katzen nehmen und gehen.“ Von den Gebäuden blieb fast nichts übrig.
Mit der „Ajuda Monchique“, der Monchique-Hilfe, dokumentierte Fernandes den Schaden und organisierte Soforthilfe für jene, die alles verloren hatten. Das Feuer hatte auf einer Fläche von mehr als 270 Quadratkilometern gewütet, 35 Häuser und die Lebensgrundlage von mehr als 200 Familien zerstört. Das Unabhängige Technische Observatorium, das gerade erst als Reaktion auf die Tragödie von 2017 in Pedrógão Grande gegründet worden war, würde später in seinem Bericht schreiben, dass das Feuer vermutlich von Eukalyptusbäumen ausgelöst worden war, die in eine Stromleitung wuchsen. In dem Bericht würde außerdem zu lesen sein, dass das Gebirge zu 40 Prozent mit Eukalyptus bewachsen war, „was das enorme Potenzial für die Brennbarkeit dieses Gebiets widerspiegelt.“
Denn Eukalyptus brennt viel besser als andere Bäume. Die ätherischen Öle in den Blättern wirken wie Brandbeschleuniger, und trockene Rinde löst sich in Streifen von den Stämmen. Brennende Blätter und Rinde fliegen oft kilometerweit und entzünden so weitere Bäume. Als sogenannter Pyrophyt ist die Art an Brände bestens angepasst: Zweige treiben aus geschützt in der Rinde liegenden Knospen bald wieder aus, und feuerfeste Samenkapseln, die in der verkohlten Erde überdauern, können unbehelligt von konkurrierenden Pflanzen keimen und gedeihen. Und die Brände werden immer größer, die Klimaerwärmung verschärft die Lage. Die tödliche Katastrophe von Pedrógão Grande passierte während einer Hitzewelle, die in ihrer Stärke laut der Initiative World Weather Attribution aufgrund der globalen Erwärmung zehnmal wahrscheinlicher geworden ist.
Brennendes Laub entzündet nicht nur andere Bäume, es fliegt auch durch Fenster und Türspalten. Stephen Hugman von der Naturschutzorganisation „A nossa terra“ fand nach dem Feuer vor zwei Jahren verkohlte Blätter unter dem Schreibtisch in seinem Büro im Zentrum von Monchique. Die Politik habe der Papierindustrie lange Zeit freie Hand gelassen, berichtet der gebürtige Brite, bis sie die Pflanzungen zumindest in Schutzgebieten habe begrenzen wollen. „2008 hatte die damalige Regierung Pläne, die Eukalyptusfläche massiv zu reduzieren“, sagt er. Doch dann kam die Finanzkrise, und die EU-Troika ordnete zur Ankurbelung der Wirtschaft eine weitreichende Liberalisierung der Forstwirtschaft an. In der Folge wurden zwischen 2013 und 2020 Eukalyptuspflanzungen auf mehr als 800 Quadratkilometern bestätigt oder bewilligt.
Ein neues Gesetz, das Anfang 2018 in Kraft trat, sollte diese Explosion eindämmen, indem es das Anpflanzen von Eukalyptus nur auf Gebieten erlaubt, auf denen schon zuvor Eukalyptus gewachsen ist. Stephen Hugmann und andere Umweltschutzorganisationen bezweifeln aber dessen Wirksamkeit. „Mit dem Gesetz wurde ein Moratorium für die Anpflanzung neuer Eukalyptusflächen eingeführt“, erklärt Paula Nunes da Silva, Präsidentin der Umweltschutzorganisation Quercus mit Sitz in Lissabon. „Eukalyptus bleibt aber nach wie vor die am meisten angepflanzte Art.“ 28 Quadratkilometer wurden allein in 2019 und der ersten Hälfte dieses Jahres bewilligt oder bestätigt. Hinzu kommt eine große Grauzone: 92 Prozent des portugiesischen Waldes ist in Privatbesitz, zwanzig Prozent davon haben keinen Eigentümer, oder er ist dem Staat zumindest nicht bekannt. Was dort angebaut wird, weiß niemand.
Der Eukylptus-Markt wird von der portugiesischen „The Navigator Company“ dominiert, die sich rühmt, allein ein Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beizutragen. Ein knappes Drittel der Plantagen des Unternehmens ist trotz der Umweltschäden durch den Eukalyptusanbau mit dem Siegel des Forest Stewardship Council (FSC) ausgezeichnet, das verantwortungsvolle Forstwirtschaft garantieren soll. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hatte das Zertifikat einst mit ins Leben gerufen, doch vor zwei Jahren stieg sie aus. Die Zertifizierung von Plantagen hatte sie stets abgelehnt. Die Lösung könne nicht darin liegen, Plantagen zu optimieren. Ziel müsse es vielmehr sein, nicht mehr kurzlebige Produkte aus eigens dafür angebautem Holz herzustellen – eine Sichtweise, die mit der Industrie nicht vereinbar ist.
Denn genau damit verdient die Navigator Company ihr Geld. Um ihre Gewinne zu maximieren, ist die Firma bestens mit der Regierung verflochten, wie der Klimaforscher João Camargo vor zwei Jahren in seinem Buch „Portugal em Chamas“ (Portugal in Flammen) aufdeckte. Die „Architekten der Eukalyptisierung Portugals“ – wie er eine Handvoll Männer nennt, die zwischen dem Unternehmen und der Regierung hin und her wechselten – hätten im Dienste der Regierung einerseits die Verfügbarkeit von Territorium für den Eukalyptus organisiert, und ihn im Dienste von „The Navigator Company“ angepflanzt.
„Was man dem Unternehmen lassen muss: Es pflegt seine Plantagen besser als kleine Privatbesitzer“, sagt José Manuel Pereira Gonçalves. Er ist Bürgermeister der zu Monchique gehörenden Gemeinde Alferce, Feuerwehrhauptmann und baut selbst Eukalyptus an. Viele Bewohner von Monchique machen das. Mit einem Schnitt verdient er rund 10.000 Euro, drei- bis viermal im Abstand von jeweils zehn Jahren. Danach bleibt trockene, ausgelaugte Erde zurück.
„Das Problem ist nicht der Eukalyptus“, ist Gonçalves jedoch überzeugt. „Das Problem ist, sich nicht darum zu kümmern.“ Denn mit mehr Pflege lasse sich das Brandrisiko senken. Er grinst und offenbart dabei eine kleine Lücke zwischen den Schneidezähnen. Während er vor zwei Jahren half, die Ländereien der anderen zu löschen, verbrannten seine eigenen. Gonçalves springt in seinen Jeep, um das Ausmaß der Zerstörung zu zeigen: die Korkeichen, deren verkohlte Rinde nun nichts mehr wert ist. Den Stall, in dem seine zwanzig Kühe verbrannten. Und den Hang, auf dem sein Eukalyptus wächst. Er habe seine Plantage nach dem Brand vom verkohlten Totholz bereinigt. „Ich bin der einzige Idiot, der das gemacht hat“, sagt er und grinst wieder. Wer die verbrannten Stämme stehen lässt und die neu austreibenden Eukalyptusbäume außerhalb der Plantage wachsen lässt, legt die Lunte für das nächste Feuer.
Aus Gonçalves’ Funkgerät knarzen aufgeregte Stimmen – ein Waldbrand ist im eine Stunde entfernten Bordeira ausgebrochen und nicht unter Kontrolle zu bekommen. Es ist der Beginn der nächsten Katastrophe: Drei Tage lang wird das Feuer wüten, mehr als 400 Feuerwehrleute, rund 100 Feuerwehrautos und elf Löschflugzeuge werden nötig sein, um es zu löschen. Es wird mehr als dreißig Häuser zerstören. Einige Tage danach wird eine Delegation der Betroffenen des alten Feuers von Monchique aufbrechen, um den Betroffenen des neuen Feuers Mut zuzusprechen. Der rußige Geruch von Verbranntem wird schwer in der Luft hängen. Inmitten der schwarz verbrannten Landschaft werden sie in einem großen Kreis auf einem Grundstück zusammensitzen, das wie durch ein Wunder von den Flammen verschont blieb. Über ihren Köpfen wird der raschelnde Ast eines Eukalyptusbaums hängen, und man wird nicht anders können, als darin ein Damoklesschwert zu sehen.
Greenpeace Magazin 2020
FOTOS Camila Berrio